Darjeeling 4.-10.4.

Es schreibt Johanna

Nach 21 Stunden Zugfahrt kommen wir in NJP an. Verrückter Tag. In einer Dhaba (Küche) treffen wir auf einen Mittfünfziger aus Wisconsin, dem die ein oder andere Kokosnuss zu viel auf den Schädel gefallen ist.
Das Gespräch ist zäh und umständlich. Neben ihm liegt das Buch der Bücher und ich vergewissere mich mit Blick auf den Umschlag "the Holy Bible", dass der Typ uns grad nicht verarscht sondern tatsächlich native speaker ist, so langsam spricht er. Es ist anstrengend zuzuhören. Erst missverstehe ich, dass er seit 2011 in Indien herum reist. Da er "keine Zeit" für Darjeeling hatte und in 14 tagen zurück in die USA reist, bildet sich in meinem Kopf ein super stranges Menschenbild. Dann irgendwo zwischen Fragen nach Merkel und den Geflüchteten erklärt sich, dass er seit dem 11. November unterwegs ist. Wie genau er sich dazu eingeladen fühlt, uns gefaltete DIN A 4 Blätter voller Bibelverse mit auf den Weg zu geben, kann ich nicht rekonstruieren.

Im Shared Jeep nach Darjeeling hat sich eine illustre Runde zusammen gefunden. Marie Therese vom Orden der Daughters of the Cross ist auf dem Weg zu einer Schule in Ghoom. Da die Einrichtung von ihrem Konvent geleitet wird, soll sie dort nach dem Rechten schauen. Sie spricht niedliches leises Englisch, ist ganz runzlig und klein und ihre grauen Haare blitzen unter ihrer Haube hervor. Sie wird von allen anwesenden mit höchstem Respekt behandelt. Von ihr erfahre ich, dass es in Darjeeling zu regnen scheint und in Sikkim schneit, dass Wetter sei total durcheinander dieses Jahr; der Winter zu sonnig und mild, jetzt Schnee und regen, wo der Himmel doch klar sein sollte. 

Tobias kann derweil seinem Ohren nicht trauen. Er spricht mit einem der wenigen professionellen Kletterern Indiens: Kumar Gaurav, 23 Jahre alt und auf dem Weg zum Alpin-Kurs des Himalayan Mountaineering Institutes. Kumar kommt ordentlich herum in der Welt, hat einen Sponsor und hat fürs Klettern das Studium abgebrochen. Tobias folgt ihm jetzt auf Facebook. 

Da wir in NJP vergeblich auf weitere Mitreisende gewartet haben und noch Ananas für die Jannu (Liebling) des Drivers holen mussten, fahren wir im Dunkeln die Bergstraße hinauf. Vor jeder Kurve, jedem Hindernis,  jedem anderen Verkehrsteilnehmer wird gehupt. Möp Möp! Möp Möp! Die Kulisse ist mystisch: die einbrechende Nacht, dass Licht in den Häusern, und wir steuern - Möp Möp - auf die Wolkendecke zu. Vegetation ändert sich je höher wir uns die Serpentinen hinaufschlängeln. Aus staubigem Braun und Ocker wird feuchtes, kühles grün. Die Temperatur sinkt tatsächlich auf ein angenehmes, an heimisches Frühlingswetter erinnerndes Maß. In Darjeeling angekommen, wandern wir durch das Nebelmeer auf der Suche nach unserem Hotel die steilen, engen kurvigen Straßen hinauf.

Am nächsten Morgen: Nebel. Eine weiße Wand. Null Sicht, teilweise keine 5 Meter. Die Nebelschwaden ziehen durch die Gassen und sorgen für eine grandiose Stimmung.
Wir spazieren durch die Stadt und machen Fotos, orientieren uns. Was nicht ganz leicht ist, bei unzähligen Serpentinen, engen Häuserfronten und ohne Straßenschilder. Die einzige Straßenkarte ist ein wirres gekringel.
Darjeeling liegt auf einem Bergrücken, 200.000 Einwohner, an steile Hänge gebaute, mehrgeschossige Betonbauten. Dazwischen Pinien, an den verwischenden Stadtgrenze vereinzelt grüne Teefelder.
Der Zufall will, dass gerade heute ein Folk Festival stattfindet.
Ein Highlight sind zwei jungen Mädchen, die wegen einer als Yaks verkleideten Tanzgruppe ganz aufgeregt sind. Die beiden werden nur in den Schatten gestellt von der Gruppe Straßenhunde, die im Angesicht der normalerweise zu behütetenden Nutztiere, vollkommen die Fassung verliert und kläffend die Bühne stürmen will.

Tobias schreibt ab hier.

Tags drauf ziehen wir los zum Zoo. Dieser ist einer der ältesten Indiens und spielt in der Aufzucht und Erhaltung von Schneeleoparden und anderen bedrohten Tierarten des Himalayas eine wichtige Rolle. Wir spazieren also die 20 Minuten raus aus der Stadt, wundern uns schon das so wenig los ist: Zoo zu. Ruhetag. Oh. Na dann halt zu naheliegenden Teeplantage.
Dort folgen wir einer informativen Führung zum Thema Teeherstellung. Von Pflücken, Trocknen, Rollen, Oxidieren und Sortieren hat man beim Trinken einer Tasse schwarzen Tees ja eher weniger eine Ahnung.
Nach einem Spaziergang durch die anliegenden Teefelder landen wir im botanischen Garten. Ein großer Park, mit lateinisch beschilderten Bäumen und Gewächshäusern voller Blumenblüten.
Die Lust auf einem Darjeeling Tee ist groß, doch der ist nicht so leicht zu finden. In Indien trinkt man den Chai mit Milch, stark gesüßt und am besten noch mit Ingwer oder Kardamom. Fündig werden wir im Glenarys, einer Institution der britischen Tee- und Gebäckkunst und Kolonialzeit. Auf der Sonnenterrasse wird Zeitung gelesen und feinster, frisch aufgebrühter Tee getrunken.
Abends wird noch Tibetisch gegessen, Suppe mit selbst gemachten Nudeln. Die Küche hier ist, neben dem touristischen Einfluss, vor allem Tibetisch und nepalesisch geprägt. Fast überall gibt's Momos, kleine, gedämpfte Tortellini. Und eben die Suppen, die den Bauch warm machen und einen schnell einschlafen lassen.

Das Wetter wird immer besser, am nächsten Tag sehen wir vom Dach unseres Hostels die Berge im aufgehenden Sonnenlicht. Der Zoo hat auch offen, der Rote Panda klettert auf hohem Bäumen herum und läuft fott umher. Damit ist er im einiges aktiver als die Leoparden, Tiger oder Bär.  Die wirken in ihrer Ruhe eher gelangweilt.
Wir spazieren durch die Wälder um den Hügel Darjeelings herum zum
Tibetian refugee self help camp. Nach der Besetzung Tibets durch China flohen ab 1960 viele Tibeter nach Indien. Mit dem Camp wurde damals der erste Schritt zum Ankommen erleichtert. Heute sind viele Tibeter schon in Dritter Generation in Indien und normaler Teil der bunten Gesellschaft. Dann gibt's wieder Tee, Zeitung mit erheiternden politischen Anekdoten und Ergebnisse der indischen Kricketliga.
So hat im Bundesstaat Punjab der Landesgerichtshof entschieden, dass im Umkreis von 500 m um Highways kein Alkohol mehr verkauft werden darf. Ambitionierter, ehrenwerter Ansatz, den die Landesregierung einen Tag später torpediert, indem sie 40 Prozent der Highways in Stadtschnellstraßen umbenennt, um die enormen Steuereinnahmen  der Alkoholsteuer nicht zu gefährden. Indischer Politikalltag.

Wir fühlen uns wohl in Darjeeling. Das Wetter ist sonnig mit frischer Luft. Es gibt viel leckeres Essen zu entdecken. Einen Tag lang besuchen wir buddhistische Klöster und spazieren auf den Gleisen der Schmalspurbahn.
Als wir uns entschließen, einen dieser vielbeworbenen Treks zu machen, wird Johanna krank. Delhi belly gibt's leider auch in Darjeeling. Eine unruhige Nacht später liegt sie den Tag über im Bett und erholt sich. Ich komme endgültig in Indien an, verbummle einen Tag, kümmere mich um Johanna. Es gibt wohl kaum was indischeres als warten und nichts zu tun zu haben. Abends geht's ihr wieder besser, wir schmieden neue Pläne. Nach Sikkim soll es gehen, mit Zwischenstopp in Kalimpong.

Von da werdet ihr wieder was von uns hören.
Bis dahin,  Shanti Shanti.

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