Die Anblicke der Nanda Devi 10.-16.5.

Tobias erzählt von den ersten näheren Bekanntschaften mit den Bergen Uttarakhands.

Nach 28 Stunden im staubigen Heißlufttrockner, auch bekannt als Zugfahrt nach Delhi in der klimaanlagenfreien Sleeperclass, einem dortigen kurzen und heißen Zwischenstopp, einer kleinen Odyssee mit Manoj zur Hochzeit und seinem Heimatdorf, waren wir endlich wieder in den Bergen. Diesmal in Uttarakhand, doch auch hier ist es weniger heiß und ruhiger als im gefühlten kompletten Rest Indiens.

Hier wollen wir also nun selbständig die Berge Indiens kennenlernen. Mit Hilfe eines zu Johannas Geburtstag geschenkten Reiseführers freuen wir uns darauf, die Permits und Expeditionen Sikkims hinter uns zu lassen. Der Umfang war angesichts der Länge und Abgeschiedenheit dort nachvollziehbar, wir wollen nun etwas kleinere Vorhaben selbst umsetzen.
Der erste Halt führt uns nach Joshimath, dort startet die 3-4 tägige Wanderung an den Kuari-Pass und zum Pangarchula, nach Wanderführer ganz ohne Permit und Guide. Eine kurzer Blick in den lonely planet, dort steht was von Guide und Permit. Mh. Die Auflage des Wanderführers ist älter als die des lonely planets. Uns kommen Zweifel auf.
Nichts desto trotz spazieren wir, gleich nach unserer Ankunft ins örtliche Forrest Departement. Das liegt etwas oberhalb der schön am Hang gelegenen Durchgangsstadt. Dort fragen wir höflich und erwartungsfroh, ob wir denn die Permit haben können. Oh, nein, das tut ihnen leid, doch leider gehe das nur mit einer Agentur und einem Guide, wir sollen uns doch bitte an eine der zahlreichen vor Ort wenden.
Mh. Sind wir im falschen Land?  War das so naiv und blauäugig zu glauben, wir fahren nach Indien und gehen da ein paar Monate wandern? Wir sitzen am Straßenrand im Schatten und wägen unsere Optionen ab. Ein Motorroller mit einem Reiseagenturmitarbeiter fährt an uns vorbei Richtung Forrest Department. Wir sitzen immer noch am Straßenrand und reden uns den Frust gegenseitig weg. Der Roller kommt zurück, hält an, der Mann fragt ob er uns helfen könne.
Wir bedanken uns für das Angebot, leider sind wir nicht an seinen Expeditionen interessiert und bräuchten nur die Permit. Ja, das sei kein Problem, wir sollen einfach in sein Büro kommen. Bitte was?
Wir können unseren Ohren nicht trauen und erwarten hohe Kosten einer solchen Dienstleistung.
30 Minuten später händigt uns der Chef der Agentur die Permit aus. Er verstehe die Regierung nicht, warum die solche Auflagen mache, er selbst war schon in den Alpen und freue sich uns helfen zu können. Wir unterschreiben eine Erklärung zur Selbstverantwortung, die Mehrkosten zur Permit belaufen sich auf 20 Prozent Servicegebühren.
Wir sind hellauf begeistert, bedanken uns vielfach und ziehen los, die notwendigen Besorgungen zu machen.

Zwei Tage später steht unser Zelt am Fuße des Pangarchula auf einer grünen Wiese mit einem kleinen Fluss in Reichweite. Der Wanderung hierher war traumhaft schön. Im Gegensatz zum Goecha La ist alles eine Nummer kleiner. Man trifft viel weniger Menschen, es ist viel leerer und natürlicher. Zwar gibt es vereinzelt Hirten und Schafherden, doch es fehlen Yakkarawanen und Hütten. Es ist um einiges anstrengender. Die Wege sind sehr viel kleiner. Der Rucksack ist sehr viel schwerer, obwohl das Essen so knapp wie nur möglich kalkuliert ist. Keine Nachmittagsnacks und täglich drei verschiedene Abendessen.

Einen Tag steigen wir aus Joshimath hinauf nach Auli, eines von wenigen Skigebieten Indiens. Schon dort genießen wir das Bergpanorama, der Anblick des Berges Nanda Devi fasziniert nicht nur Inder, denen der Berg weiblich und heilig ist. Unverkennbar steht sie am Ende des Tales, der höchste Berg Uttarakhands, zwischen vielen anderen schönen Gipfeln.
Am Eingang des Nationalparks endet auch Indiens längste Seilbahn, von Joshimath nach Auli. Daher wuseln hier einige schwer vermummte Mumbaier, Tamilen und anderen Südinder umher, wir finden die 18  Grad und Sonne ganz angenehm.
Nach einer lustlosen kurzen Überprüfung unserer Permit wandern wir am Tag drauf zuerst durch grüne Hügel à la Schottland, dann auf kleinen Wegen bei bestem Wetter Richtung Lagerplatz. Dort wollen wir drei Nächte bleiben, ein Tag akklimatisieren, einen Tag den Pangarchula besteigen und dann wieder zurück.

Am Pausetag schauen wir uns den Sonnenaufgang an. Die Sonne geht genau über der Nanda Devi auf, der Wanderführer betitelt die zu sehenden Berge. Keine Wolke verdeckt früh morgens die Sicht, gegen Nachmittag fängt es wieder an zu regnen, die angenehme, zuverlässige Regelmäßigkeit des Himalajawetters.

Der nächste Tag beginnt früh, im Dunklen steigen wir die ersten Höhenmeter zum Geröllfeld am Fuße des Pangarchulas hinauf. Mir geht es nicht besonders, mir ist hauptsächlich übel und ich fühle mich schwach. Zur akuten Höhenkrankheit fehlen nur noch Kopfschmerzen. Ich bin alarmiert, wir beobachten uns gegenseitig und halten unser Verhalten im Blick. Doch Kopfweh habe ich keins, langsam geht die Sonne auf, es wird wärmer, Johanna überzeugt mich zu einem Stück Schokolade und Keksen. Wir durchqueren das Geröllfeld, ich merke wie ich wieder zu Kräften komme. Wir beschließen weiterzusteigen. Der Weg zum Gipfel führt über große Blöcke auf einen Rücken. Dort durchsteigen wir weiche Schneefelder, noch ein bisschen Geröll und dann stehen wir oben. Strahlende Sonne, weiße Gipfel, von der Schokolade ist noch etwas übrig geblieben.
Besonders ein Berg sticht ins Auge, steht zackig allein, das müsste die Nanda Devi sein.
Wir steigen vorsichtig wieder ab und erfreuen uns am Zelt an Tütensuppe und gefriergetrocknetem Fertigessen. Es geht also doch, die Berge Indiens auf eigene Faust zu erleben. Mit etwas Geduld, Glück und guter Planung.

Die Wanderung zurück nach Auli erfolgt auf dem Hinweg, die Aussicht ist immer noch grandios. Man wandert das Tal wieder vor, die Perspektiven auf die Berge ändern sich jede Stunde. Vor allem die Nanda Devi sah vorhin noch anders aus. Warte mal, meine ich zu Johanna, daneben der Gipfel sieht ja ganz ähnlich aus, die Nanda Devi ist aber zweifelsohne die dahinten. Johanna kommt ins grübeln, holt den Wanderführer raus, studiert Karten und Beschreibungen. Kurz darauf das Urteil: wir haben die letzten drei Tage den falschen Berg als Nanda Devi bezeichnet. Der Dunagiri ist 800 m kleiner und sieht trotzdem der großen Schwester aus gewissen Perspektiven zum verwechseln ähnlich. Die Nanda Devi war aus der Blickrichtung des Lagers von einem anderen Berg verdeckt und nur der oberste Gipfel ersichtlich. Oh.
Doch nicht nur wir haben den Berg vertauscht. Auch der Reiseführer bezeichnet den falschen Gipfel beim Sonnenaufgang als Nanda Devi.
Da wird die ganze Zeit in der Tourenbesschreibung auf die verschieden großartigen Anblicke der Nanda Devi eingegangen, es ist das zentrale Thema, sämtliche Menschen auf dem Weg reden davon. Und dann verwechselt man ihn einfach. Schonmal das Matterhorn mit dem Großglockner verwechselt?
Wir sind also nicht die einzigen, die die Berglandschaft hier vor ungeahnte Herausforderungen stellt.

Nun genießen wir die kleine Vorzüge der indischen Zivilisation und verweilen ein wenig in Joshimath. Das Hotelzimmer ist preiswert, die Bettdecken sind warm und groß, es gibt warmes Wasser. Wir haben ein leckeres Restaurant, mobiles Internet und Cricketfinale im Fernsehen. Auch nicht verkehrt.

Als nächstes begeben wir uns auf die Spuren der hinduistischen Pilgerscharen, wollen nach Hem Kund, Kedarnath und Gangotri.
Bis denn, Shanti Shanti.










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