Himmel Pradesh oder so, Anfang Juni

Tobias schreibt. 

Wir sind im dritten Monat angelangt, die Gewöhnungsphase an die indischen Eigenheiten haben wir langsam abgeschlossen. An vieles haben wir uns gewöhnt, manches nervt noch immer. Auch in Sangla, dem ersten Dorf in Himachal Pradesh hupen die Autos nervtötend laut. Daran werden wir uns nie gewöhnen. Doch das ist alles halb so wild, nach der Überquerung des Rupinpasses essen wir viel und entspannen uns. Es regnet zwei Tage, daher entscheiden wir weiterzuziehen. Zunächst nochmal etwas tiefer in das Tal: Die letzte Siedlung vor der chinesischen Grenze, Chitkul, soll ruhig und schön sein. Die zweistündige Hinfahrt erfolgt im lokalen Linienbus, dieser ist erstaunlich neu, modern und vertrauenserweckend.

Durch Pinien das Tal hinauf, in ein winziges Dorf voller traditioneller Holzhäuser auf 3500 m Höhe. Wir finden ein Homestay. Unser Zimmer: eine Art Wintergarten aus Holz, es riecht wie früher im Sommerurlaub mit Mama und Papa in einer Berghütte in Österreich. Das Wetter ist nur unwesentlich besser, wir spazieren durchs Dorf. Wir begegnen einem wenige Tage alten Zicklein, das uns verspielt anmeckert und uns ebenso interessant findet, wie wir es. Danach genießen wir die Gemütlichkeit unseres Zimmers.



Seit Monaten frustriert mich die Situation indischer Handwerker. Was ich vor drei Jahren direkt erlebt habe, begegnet mir hier in ganzen Land. Überall wird gebaut, man sieht kleine, spindeldürre Inder, stehend vor Schmutz irgendwelche gruseligen Betonbauten von Hand errichten. Die Straßenbauprogramme der Regierung werden unter fiesen Arbeitsbedingungen vorangetrieben. Der Mangel an Gerechtigkeit in Ausbildung, Bezahlung und Arbeitnehmerschutz führt mir vor Augen, wieviele Jahre  Klassenkampf mein Vorstellungen von Handwerk prägen.
Doch je weiter wir weg von Straßen und Beton kommen, desto mehr Holz wird verbaut. Die schon im Rupintal beschriebenen Holzhäuser zeugen von außergewöhnlichem Bauhandwerk, ich staune ob der vielen Schnitzereien und praktischen Umsetzungen.
Hier, in Chitkul, stehen nur an der Hauptstraße die gewöhnlichen hässlichen Betonbunker, das Dorf ist voller Holzhäuser mit Schieferdächern. Wir hören eine Hobelmaschine, zwei Männer arbeiten in aller Ruhe daran, aus Baumstämmen Balken zu sägen. Der Boden ist übersät von Sägespäne, es duftet nach Pinienharz.



Mit uns im Haus als Gast ist Aakash, ein junger indischer Journalist aus Delhi. Wir reden über Bücher, Filme und indische Kultur. Tut gut, nach Tagen der Naturästhetik sich mal wieder über die kulturellen Errungenschaften des Homo sapiens auszutauschen.
Am nächsten Tag warten wir in einer Straßendhaba auf dem Nachtbus nach Manali. Wir haben uns entschieden, so früh wie möglich im Juni dorthin zu gehen, in der Hoffnung noch vor dem Monsun einige schöne Tage zu erwischen. An den Nachbartisch setzt sich ein wohlsituierter, in Amerika lebender Inder, umd fragt, wo wir herkommen. Nach ein wenig Smalltalk fängt er an: Wenn man die Fakten sehen würde, wüsste man, dass Angela Merkel Deutschland ruiniert hätte. In fünfzig Jahren sei Deutschland ein islamistischer Gottesstaat, voller Moscheen, und so weiter und so fort. Ein ununterbrochener Schwall an Unsinn ergießt sich über uns. Johanna versucht ihm zunächst argumentativ aufzuzeigen, wie weit hergeholt seine Vorstellungen sind. Keine Chance, der Typ hält weiter seinen xenophoben Monolog, eine Mischung aus Wirtschaftsgesabbel und altklugen Verallgemeinerungen. Wir werden wütend, fühlen uns hilflos angesichts dieser Unfähigkeit der rationalen Kommunikation und stehen einfach auf und gehen. Ein bitteres Gefühl, es gleicht einer Niederlage. Waren wir unfähig, unsere Überzeugungen und Meinungen außerhalb unseres gewohnten kulturellen Umfeldes und Rückhalts zu vertreten? Mich beschäftigt noch immer diese Frage. Leicht verstört sitzen wir schließlich im Bus. 

Als wir am nächsten Morgen in Manali ankommen, empfängt uns das totale Touristen-Chaos. Wir haben zwischenzeitlich erfahren, dass Juni die Hochsaison für indische Touristen ist, Schulen und Universitäten haben geschlossen. Und all diese Inder (inklusive Großfamilienanhang) scheinen sich in Manali verabredet zu haben. Glücklicherweise gibt es noch Old Manali, 2 km oberhalb des Stadtzentrums. Wir flüchten dorthin und landen in: klein Tel-Aviv! Manali liegt auf der sogenannten Humus-road, den klassischen Zielen der zahllosen Israelis, die nach dem Militärdienst durch Indien reisen. Wirklich fast alle tragen chelsea-boots und wollen ein Royal Enfield Motorrad fahren. Dazwischen mischen sich Grüppchen junger Inder, die die seltsamen Foreigners und Hippies sehen wollen und selber ein bisschen die Freiheit genießen. Eine entspannte Atmosphäre herrscht. Wir finden ein ruhiges Zimmer mit Apfelbäumen vor dem Fenster und kommen an. Hier gibt es zahllose Cafés und Restaurants, alle ausgelegt auf Backpacker. Es gibt Israelisch (Falafel, Hummus, Baba Ganoush), Italienisch (Pizza, Pasta, Lasagne, Bruschetta) und mehrere "German Bakerys", die Zimtschnecken, Brownies, Cookies, Avocadosandwiches, Walnuss-Strudel und brown bread verkaufen. Alles ein wenig teurer, doch so vielfältig die indische Küche auch ist: nach zweieinhalb Monaten Reis und Chapatis + X freuen wir uns über die Abwechslung und schlagen in großem Stil zu. Auch hier gibt es einige Agenturen, diesmal sind diese jedoch etwas anders ausgerichtet. Das merkt man recht schnell, hauptsächlich organisieren sie Jeepfahrten für Israelis oder gemütliche Tageswanderungen. Man muss schon nach den ausgefalleren Zielen fragen und auch Bergtouren ohne Expedition erscheinen ihnen vorstellbar.
Für uns hat sich, nach 2 Monaten des Wanderns und Lernens über die indischen Berge, die Perspektive etwas verschoben. In den Agenturen wurde peinlich genau auf den Unterschied zwischen Trekking und Mountaineering geachtet, oft wurden wir gefragt, warum wir denn nicht mit dieser und jener Gipfelexpedition mitgehen. Das Verständnis für unseren Ansatz, lieber Treks selbstständig umzusetzen, war recht gering. So wuchs in uns die Vorstellung, einen Gipfel zu finden, der im Alpin Stil besteigbar sei, in Begleitung eines Guides (gibt ja keine Karten).
Der Ausdruck Alpin Stil bedeutet, dass man alles selbst trägt, keine Fixseile anbringt und einfach von unten nach oben den Berg besteigt, ohne Träger, Koch oder Expeditionscrew. Wie man halt so in Europa (in den Alpen, daher der Name) berggeht, wandert, spaziert, nenne man es wie man will.
Bei unsere Suche stoßen wir auf den Hanuman Tibba. Leicht von Manali aus zu erreichen, nicht zu viele Tage an Dauer, nicht zu hoch, anspruchsvoll, aber nicht zu schwierig oder gefährlich. Wir landen im Büro von Jogi und Sarah. Sarah kommt aus Deutschland, ist nach dem postabituriellen Freiwilligenjahr in Indien geblieben und organisiert nun Reisen. Jogi sieht aus wie die indische Variante eines Hobbits, lockig, stabil und kräftig. Außerdem sagt er, unser Zielberg sei durchaus im alpinen Stil möglich. Das bedeutet zwar für ihn als Guide einen erheblichen Mehraufwand (bei Expeditionen gibt es Träger für Zelt, Vorräte und Material), aber er muss eh fit werden für eine Expedition im August. Sarah hat auch Zeit und schließt sich uns kurzentschlossen an. Die zwei waren vor einem Jahr schonmal auf dem Hanuman Tibba, die Kommunikation ist gut, dass Wetterfenster scheint auch da zu sein und am wichtigsten: Das Bauchgefühl stimmt. Also los.
Den Bericht zur Besteigung des Hanuman Tibba findet ihr im separaten Eintrag. 


Kommentare

Beliebte Posts