Kedarnath 15.-22.5.


Wir erzählen von unseren Erlebnissen in Kedarnath.
Ich = Tobias.

Wir ziehen also weiter, das nächste Ziel ist Hem Kund, der heilige See der Sikh. Dieser soll vor einer schönen Bergkulisse liegen und mit einer Übernachtung auf einem Pilgerweg durch ein schönes Tal erreichbar sein.
Der Jeep wirft uns am Startpunkt Govindghat raus, will weiterfahren und hat direkt einen Platten. Wir gucken unschuldig Richtung ehemalige Mitfahrer und schauen uns vor Ort um: 3 Häuser und 10 Baustellen an einer Straßenkurve in wilder Talschlucht, es ist frisch und bewölkt. Wir sehen ein paar Sikhs mir ihren schmucken Turbanen in leuchtendem orange,  rot, royal blau, zwei in pink. Vor der Brücke im Talgrund steht ein riesiges, mehrstöckiges Gebäude. Das Pilgerheim der Sikh, was aber verdächtig wenig Pilger beherbergt. Auch hier wird gestrichen und renoviert. Wir wundern uns, vermuten, dass wir noch vor der eigentlichen Saison da sind. Denn Pilgerfahrt hatten wir uns irgendwie voller vorgestellt, mit mehr Menschen.
Wir finden ein schönes Hotelzimmer, mit Blick durch eine große Fensterfront auf die im Tale rauschenden Alaknanda, Gebirgsbäche und die grüne, steile Schlucht Richtung Hem Kund.
Nachmittags erfreuen wir uns des schönen Zimmers, Johanna entdeckt das Bildbearbeitungsprogramm.




Ich mache mich auf die Suche nach Snacks für die Wanderung, da wir schon vermuten, dass nicht ganz soviele Dhabas auf dem Weg sind, wie vom Rother-Wanderführer beschrieben. Ich komme zurück, habe mit zwei Israelis gesprochen und weiß nun, dass Hem Kund erst in einer Woche öffnet. Das gute alte Forrest Departement hat den Weg noch nicht geöffnet, warum weiß keiner, das kommt uns doch irgendwie bekannt vor.
Kurz kommt Frustration auf, dann wird eine Entscheidung getroffen:
Es geht weiter, nach Chopta und Kedarnath.

Es folgt ein weiterer Tag in verschiedenen Jeeps, in denen wir die ersten Pilger kennen lernen, die wie wir, gegen die übliche Reihenfolge der Pilgerorte reisen. Normalerweise beginnt ein echter Hindu im Westen in Yamunotri, dann Gangotri, Kedarnath und zuletzt Badrinath. Da Manojs Heimatdorf aber in der Nähe von Badrinath liegt, war für uns die andere Richtung sinnvoller.

Vor zweieinhalb Jahren war das Autofahren in Uttarakhand eher unangenehm. Ungern denke ich an die 9 Stunden Fahrzeit die man damals von Rishikesh nach Chamoli benötigte, zwischen kotzenden Mitfahrern im Jeep. Die "Straßen" waren üble Buckelpisten voller Schlaglöcher, kaum breit genug für zwei Jeeps nebeneinander, vielerorts durch Erdrutsche weggebrochen und ständig kam ein laut hupender Lkw auf einen zugerast.
Diese Zeiten sind vorbei. Seit vor drei Jahren die hindu-konservative Partei BJP an die Regierung kam, werden massive Straßenbauprogramme vorangetrieben. Das liegt daran, dass in Uttarakhand die wichtigsten Pilgerorte der Hindus liegen, die sollen so leicht wie nur irgendwie möglich erreichbar sein. Dadurch wird das eine oder andere Gebet, und auch Wahlschein, der BJP zu Gute kommen.
So hat der sonst eher arme Bundesstaat Uttarakhand bessere Straßen als das reiche, ebenso in den Bergen gelegene, aber halt eher buddhistische, Sikkim. Man fährt über dauerhaft geschlossene Asphaltdecken (absolute Seltenheit auf indischen Straßen), mit Straßenmarkierungen und Reflektoren am Rand. Ein Tunnelprojekt sei auch schon in Bau.

Wir fahren also auf neuen Straßen nach Chopta. Dort war ich schon vor zwei Jahren und kenne es als kleines, gemütliches Dörfchen im Wald auf dem Weg zwischen zweier wichtiger Pilgerorte, die aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse moderat frequentiert waren.
Diesesmal ist es um einiges verranzter, zahllose Taxis rauschen an den fünf Häusern vorbei, es liegt Müll herum. Hier ist der Anstieg der Pilgerzahlen nicht ohne Spuren geblieben, es soll nicht das letzte Mal bleiben, dass mehr Pilger auch mehr Probleme mit sich bringen.

Wir schlagen unser Zelt etwas oberhalb der Häuser und Hauptstraße auf, zwischen den Überresten einiger nächtlicher Gelage der indischen Trinkgewohnheiten. Nur mit viel Mühe finden wir ein Fleckchen Wiese, dass nicht mit Scherben zerbrochener Schnapsflaschen übersät ist.



Morgens lässt uns das sonst so verlässliche Wetter im Stich, statt  einem klaren Himmel, gibt es eine dichte Wolkendecke auf etwa 5000 m, die uns den Blick auf die Gipfel verwehrt. Wir spazieren trotzdem hinauf zum Tungnath-Tempel. Früh morgens ist noch nicht so viel los auf dem gepflasterten Weg. Am Tempel vorbei geht es auf den nahe gelegenen Aussichtsgipfel, von dort schauen wir in die grau abgeschnittenen Berge.
Nachdem wir unser Zelt abgebaut haben, versuchen wir einen Jeep zur Weiterfahrt nach Kedarnath zu finden. Jetzt erweist sich die "falsche"  Pilgerrichtung als kleines Problem. Es fahren in einer Stunde 30 Jeeps nach Badrinath an uns vorbei, aber nur zwei, voll ausgebuchte, in unsere Richtung. Drei indischen Pilger sind zu Beginn mit uns auf der Suche nach einem Jeep, doch die haben einen Baba Ji mit sich und beschließen dann einfach auf gut Glück loszuwandern. Baba Ji ist die respektvolle Anrede für einen Sadhu, einer Art abgedrehter, hinduistischer Wandermönch. Wir bleiben etwas irdischer, warten noch ein wenig und fangen dann einen leeren Jeep ab, der zum Einkaufen in unser Umsteigeziel fährt. Auf dem Weg dorthin gabeln wir die noch nicht all zu weit gekommenen Inder und ihren Baba Ji auf.

Die Jeeps nach Kedarnath sind mit Pilgern gefüllt. Langsam fangen wir an zu ahnen, wieviele Menschen dorthin auf dem Weg sind. Wir kommen nachmittags dort an, wo die Jeeps nicht mehr weiterfahren dürfen, zum eigentlichen Startpunkt sind es aber noch 5 km.
Es herrscht Ausnahmezustand. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Jeeps und Reisebusse auf einem Fleck gesehen. Auf einer Fläche von 5 Fußballfeldern, stehen kreuz und quer Fahrzeuge, dazwischen wuseln Inder, auffällig viele Frauen, auffällig viele ärmere Menschen. Es scheinen nicht die Mittelstands- oder Stadtinder zu sein, deren größter Traum diese Pilgerfahrt ist. Man sieht überall Saris und Flip-Flops, Regencapes aus durchsichtigem Plastik und skurrile Schal und Mützenkombinationen, um mit der relativen Kälte ( geschätzte 18 grad) zurecht zu kommen. Die Schilder sind alle auf Hindi, trotzdem schaffen wir es noch, zum Anfangsort des Pilgerwegs zu gelangen.
Wir haben die leise Hoffnung, dort könne es vielleicht ein wenig ruhiger sein, weniger kommen und gehen.



Weit gefehlt. Ankommend in der Dämmerung, präsentiert sich Gaurikund wie das finstere Mittelalter. In einem engen Tal, an einem Hang steht das eng bebaute Dorf. Es ist dunkel, feucht, marode, die schmalen Gassen sind voller Menschen. Man kommt nur im Gedränge voran. Alles steht vor Dreck, die Menschen, die Häuser, die Gassen sind zentimeterhoch mit Pferdescheiße bedeckt. Es ist überfüllt, es gibt keinerlei Schlafplätze mehr. Wir irren eine Stunde durch das Gewusel.
Kurze Überforderung kommt bei uns auf. Ein Stellplatz für unser Zelt ist bei der Enge des Tales nicht auszumachen.
Als wir zum zweiten mal bei dem Guesthouse der GMVN (regionale Jugendherbergs-artige Organisation, günstige Hotels, gutes Essen und 1A organisiert) ankommen, fragen wir, ob wir nicht vllt unter Umständen, auf dem Flur, oder unterm Dach vor der Rezeption unsere Isomatte ausbreiten könnten. Das sieht man aber gar nicht gern und wie auch immer, gibt es dann doch noch ein Zimmer für uns. Ein tatsächlich richtig schönes Zimmer, mit ordentlichem Bad und Bett, ein Kokon des 20. Jahrhunderts inmitten dieses Molochs.
Wir erfahren, dass es uns gelungen ist, die absolute Pilgerhochsaison zu treffen und zu alle dem noch ein berühmter Guru ab morgen im Tempel Texte vorliest, was noch mehr Andrang verursacht. Timing.

Nach dem Abendessen schauen wir nochmal kurz durch die Gassen, wie sehen hauptsächlich Pilger auf dem Rückweg von Kedarnath. Wankende ältere Menschen mit entrücktem Blick, bei jedem Schritt das Gesicht vor Schmerzen verziehend, selten feste Schuhe, meistens kaputte Sandalen oder barfuß, der Saum der bunten Saris dunkelbraun, watend durch Schlamm.

Wir brechen früh auf am nächste Tag, sind jedoch nicht die einzigen mit der Idee. Es gibt vier Möglichkeiten, die 14 km und 1500 hm zum Tempel zurück zu legen: man reitet auf einem Maultier, man lässt sich von vier Männern in einer Art Sänfte tragen, von einem Mann in einem Korb auf dem Rücken, oder man läuft zu Fuß. Der Weg ist betoniert und ca 3 bis 4 m breit, vielerorts rutschig durch Matsch und die allgegenwärtige Pferdescheiße, an manchen Stellen recht steil und glatt für Pferdehufen. Weiter oben fällt der Hang neben dem Weg steil ab, unten im Tal rauscht der Fluss Nandakini.
Auf diesem Weg befindet sich zu jeder Zeit alles. Die schiere Anzahl an Menschen und Maultieren ist kaum zu begreifen. Wir laufen den ganzen Weg an mühsam aufsteigenden Indern vorbei, weichen entgegenkommenden Maultieren aus, springen in Deckung vor stolpernden Trägern. 5 Stunden lang in Delhi Metro fahren, bei rush-hour, bergauf, mit schwerem Rucksack.



Oben angekommen wird das Tal wieder weiter, der Platz lässt die Menschenmassen sich etwas verlaufen. Das eigentliche Dorf mit dem Tempel ist in Sichtweite, doch schon 1 km vorher beginnt eine Zeltstadt auf den Wiesen. Es wirkt alles sehr provisorisch und überfordert.
Vor dem Eingang zu Tempel ist eine 500 m lange Schlange. Wir fragen erst gar nicht nach Zimmern und finden abseits, etwas oberhalb, weg von Lärm, Chaos und Hygienedrama ein Fleckchen für unser Zelt. Kurz werden die Wolken dünn und lassen einen Blick auf die Bergwand erkennen, die das Tal abschließt.
Nach erholsamen Stunden im ruhigen Zelt wagen wir uns ins Dorf Kedarnath. Der Tempel ist wahrlich schön, aus massivem Stein gebaut, mit ansprechenden Proportionen und Formen. Zwischen den zahllosen Pilgern sitzen überall Sadhus und Baba Jis mit ihren Dreadlocks und orangenen Gewändern.



 Es gibt einige Dhabas und Chai zu kaufen. Johanna fällt auf, dass viele Häuser zerfallen oder stark beschädigt sind. Tatsächlich kaum eines ist intakt, zwischen den Ruinen und Schutthaufen liegen schulterhohe Steine. Wir fragen herum: Im Jahr 2013 gab es eine Flutwelle aus Schneeschmelze und Vormonsun, die fast das komplette Dorf mit zahlreichen Pilgern vernichtete. Nur der Tempel blieb nahezu unversehrt. Jetzt wird an einer Barriere aus Mauern und Zäunen gearbeitet, um den Pilgerort vor der Natur und wohl auch die Natur vor den Pilgern zu schützen. In wenigen Monaten soll der Bereich zwischen Tempel und Berge, in dem auch wir unser Zelt aufgebaut haben, zur Restricted Area werden. Unfassbar schade, ohne diesen Ort der Ruhe wäre Kedarnath für uns nicht annähernd so schön. Andererseits, von unserem erhöhten Aussichtshügel können wir die Inder beobachten wie sie den Abfall eimerweise in ihren heiligen Fluss kippen.

Am nächsten Morgen stehen wir früh auf, die Wolken sind verschwunden, wir blicken auf 3000 m Fels, Schnee und Eis. Die Sonne geht auf. Wir steigen die Gletschermoräne hinter dem Tempel hinauf und folgen ihr in Richtung des Fußes der beeindruckenden Wand. Der Wahnsinn der letzten Tage bleibt hinter uns, es ist still und sonnig und frisch. Wir stehen am Rand des weiten Gletschers vor dem heiligen Berg Kedarnath.




Abends passen wir einen ruhigen Moment am Tempel ab, ziehen unsere Schuhe aus und reihen uns in das Gedränge im Inneren ein. Der Steinboden dort ist von den zahllosen Menschen angenehm warm, um uns herum erfüllen sich Lebensträume, Tränen fließen, dass Mantra "Om Shiva" erfüllt das kleine Gewölbe. Ich genieße den Moment und die Freude, mache kurz die Augen zu und lasse mich langsam wieder nach draußen schieben.



Der Rückweg ist wieder eher anstrengend, es ist zwar etwas weniger los, wir beeilen uns trotzdem ihn hinter uns zu lassen. Ein wenig traurig, dieses schöne Tal zu verlassen, sind wir schon. Die Reise zu den nächsten Bergen dauert wieder ein paar Tage. Unser Ziel ist der Ursprung des Ganges (Ganga), dem heiligsten aller Flüsse und der gleichnamigen Göttin, bzw ein Gletscher am Fuße des Shivlings.

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