Sankri und der Rupin Pass 30.5 - 6.6


Johanna schreibt über die Wanderung von Uttarakhand nach Himachal Pradesh über den Rupin Pass, sowie dessen Vorbereitungen.

Wir wollten nie mit einem indischen Überlandbus reisen. Jetzt haben wir es doch getan, weil es nach einer direkten Verbindung von Uttrakashi nach Mori aussah. Aussah. Ja, wie mussten nicht umsteigen, und ja, einen Umweg ist er auch nicht gefahren aber an jeder Milchkanne hat er gehalten. Wir haben acht Stunden in einer Klapperkiste verbracht, deren Sitzabstand sogar für mich (Johanna) zu knapp war. Mit Oropax in den Ohren, um nicht bei jedem Hupen zusammen zu zucken, haben wir uns über die kotzenden Mitfahrer amüsiert und durch die verdreckten Scheiben die Natur bewundert. Nach dem wir an Yamunotri vorbei gefahren sind, tritt sie endlich ein. Die Ruhe. Wir haben den Bereich der vier göttlichen Wohnsitze (Char Dham) verlassen, das Irrenhaus Indiens hinter uns gelassen. Das Verkehrsaufkommen reduziert sich just auf einen Bruchteil, die Straßen, eben noch asphaltiert und markiert, verwandeln sich in staubige Pisten. Wir steigen noch ein, zwei mal um und landen in einem klitzekleinen, verschlafen Nest. 

Wir haben uns dieses Sankri ein bisschen anders vorgestellt. Wegen des von hier startenden bekannten Treks ins Har Ki Doon-Valley haben wir uns einen touristischen Ort mit einigen Agenturen und Hotels sowie einer funktionierenden Infrastruktur vorgestellt. Es gibt dann exakt zwei Agenturen und zwei Hotels sowie ein GMVN Tourist Rest House, diese stehen auch noch im krassen Kontrast zum Rest des Dorfes. Das Volk, das hier lebt ist eine wilde ethnische Mischung aus Nepalesischen, Tibetischen und zentralasiatischen Einflüssen. Ich finde vor allem die Frauen unfassbar cool. Im Gegensatz zu den in ihre Saris geschlungenen Pilgerinnen, die eher dümmlich, desorientiert auf mich wirkten, erscheinen die Frauen hier von ganz anderem Schlag. Allein der Stand: Beide Füße auf dem Boden. Die Hüfte nach vorne geschoben. Die Brust raus. Der Körper ist von der Arbeit in der Natur trainiert. Der Blick direkt und entschlossen. Die Gesichter klar gezeichnet. Die Kleidung besteht aus lockeren Kurtas mit Pumphosen in gedeckten Tönen in kleinteiligen Mustern. Darüber ein gestrickter Wollpullover oder eine gefilzte Wollweste / Kurzjacke. Einige wenige tragen sogar knielange Wollmäntel in beige oder dunkel grau mit hüfthohen Seitenschlitzen, geschlossen wird er mit einem breiten, bunt-gewebten Gürtel der mehrmals im die Hüfte gelegt wird. Der Kopf wird mit einem gemusterten Kopftuch bedeckt, das lässig am Hinterkopf geknotet wird. Armreife sieht man hier wenige, dafür sind die Ohrmuscheln mit zig goldenen Ringen durchstochen. Geil. 

Was noch ziemlich geil ist: Sankri liegt bereits im Nationalpark, das heißt bei der Einreise haben wir einfach angeben, dass wir den Rupin Pass machen wollen und der Beamte hat uns die Permit ausgestellt. Nach anfänglicher Skepsis, ob das denn reicht: Ja! Wir können den Trek alleine, ohne Guide machen! Diese und viele andere Fragen konnte uns die Agentur Himalayan High beantworten. Dieser großartige Mann hat sich nämlich nicht nur auf das Vermitteln von Guides spezialisiert, sondern auch auf das Vermieten von Equipment und das Teilen von Informationen für Reisende wie uns. Und weil er sowieso nichts zu tun hat, können wir mit ihm unsere Wanderung durch sprechen und letzte Ungereimtheiten klären.

Unser größtes Problem: da wir mit einem größeren Ort gerechnet hatten, haben wir keine Gaskartuschen im voraus gekauft. Im Dorf braucht sie niemand und die Agentur verkauft sie auch nicht. Uns bleiben zwei Möglichkeiten: wir fahren nach 11 Busstunden nach Dehradun, kaufen eine Gaskartusche, übernachten und kommen am nächsten Tag wieder zurück nach Sankri, oder wir kaufen einen der lokal-erhältlichen Kerosinkocher sowie Kerosin. Wir waren ja keine Ingenieure wenn wir nicht noch Möglichkeit Nummer drei ausprobieren würden. Tobias Düsentrieb und Johanna MacGyver basteln also einen Nachmittag lang einen improvisierten Kerosinkocher aus einer Milchpulverdose. Hat zwar leider nicht funktioniert, war aber ein witziger kleiner Bastelspaß. Da keiner von uns motiviert ist auch in den Bus nach Dehradun zu setzen, steht die Entscheidung fest: wir nehmen das zusätzliche Gewicht von 1,5 kg für den Kocher und zwei Liter Kerosin mit. Wir nutzen die gewonnen zwei Tage: Wir genießen die Ruhe, fressen uns einen kleinen Puffer an und kaufen die Lebensmittel zum Wandern ein.

Dann geht's los. Früh morgens nehmen wir Bus und Jeep nach Dhaula, dem Ausgangspunkt der Tour und gleichzeitig Ende der sogenannten Jeepable Road. Wir kommen leider erst gegen 10:00 los und so laufen wir in der Mittagssonne das Tal des Rupin Flusses hinauf. Schon im Nachbardorf von Sankri hat uns die  örtliche Architektur beeindruckt, bist auf dem Weg setzt es sich fort: Blockhäuser mit gedeckt mit Schieferplatten: Von simpel bis ausgefallen, schlicht oder mit dekorativen Elementen. Wunderschön. Bisher das ansprechendste was wir in Indien an Handwerk gesehen haben. 



Wir sind richtig gut gelaunt und laufen motiviert den Pfad entlang. So wie die Dorfbewohner auf uns reagieren kommen hier nicht so häufig Touristen aus Europa her. In Sewa, einem weiteren kleinen Dorf rasten wir am Tempel.  Es läuft alles so glatt; die Menschen sind freundlich,  wir haben keinen Guide, das Wetter spielt mit. Wir können unser Glück kaum fassen. Es geht weiter im Rupin Kiesbett. Wo uns eben noch auf dem glühend heißen Hang die Echsen begleitet haben, umflattern uns jetzt Dank der Nähe des kühlenden Flusses Schmetterlinge alle Arten und Farben. Bauta, unser Tagesziel erreichen wir gegen 17:00. Nach vergeblicher Suche nach einem Guesthouse oder Homestay, lädt uns Lucky, ein Dorfbewohner in unserem Alter zu sich nach hause ins Dorf Jiskun ein. Das liegt auch auf dem Weg, war aber als Teil der Etappe morgen gedacht. Da wir schon die Strecken nach Bauta unterschätzt haben und die neue Jeepable Road uns arg genervt hat, zieht sich der finale Anstieg ordentlich in die Länge. Das Haus von Luckys Familie ist ein hybrid zwischen traditionelle Blockhaus und moderner indischer "Baukunst". Wir fühlen uns wohl und unterhalten uns mit dem Brüdern. Es gibt lokale Speisen, die sehr an die Küche von Jamuna Devi erinnern. Einer der Brüder ist Lehrer für Sanskrit und spricht gutes Englisch. Er räumt für uns sein Zimmer und erklärt es mit dem Sanskrit Spruch: Athiti Devo Bhava. Guests are like God. 

Am folgenden Tag haben wir uns eine kleine Etappe vorgenommen: wir wollen im Dorf Jakha, the hanging village, eine Nacht bleiben. Zwischen Jiskun und Jakha gibt es glücklicherweise noch keine Straße. Wir starten gegen halb neun und begegnen auf dem Weg bestimmt hundert Schulkindern auf Weg zum Unterricht. Was für ein wunderschöner Pfad mit grandioser Aussicht, aber eben auch zwei bzw vier Stunden Wanderung bei Wind und Wetter, Sommer wie Winter, für Bildung.



Kurz vor Jakha treffen wir auf einen Mittfünfziger in traditioneller Kleidung (wie hier alle), der sich erkundigt, ob wir bei ihm übernachten wollen. Sein Name ist Sanya. Er biete Homestays an. Erst skeptisch, weil einem ja so die Wahl genommen wird, dann schicksalsergeben, lassen wir uns sein Heim zeigen. Es ist am untersten Rand des Ortes gelegen. Tief unter uns rauscht der Rupin und um uns herum Terrassen mit Gemüse und Weizen, Kastanien- und Walnussbäume. Wir sind total bezaubert. Zur Begrüßung gibt es Kali Cha (Schwarz Tee mit Tulsi (Minzartig)) auf dem umlaufenden Balkon. Nach dem Mittagessen (Dal Makhani mit Reis und Pfefferminz-Chutney) schlummern wir im Schatten. Schatten. Nachmittags schlendern bzw klettern wir durch das Dorf, denn der Hang an dem die Häuser kleben ist so steil, dass jeder Weg eine Treppe ist.









Dadurch, dass wir so früh angekommen sind fühlen wir uns als wären wir schon Tage in Jakha. Es ist ruhig, kühl und still. Das Essen ist hervorragend. Die Gastgeber sind interessiert und gleichzeitig zurückhaltend. Sanya hat einen ausgefallenen englischen Wortschatz, erzählt uns aber dass er nie in der Schule war, nie schreiben gelernt hat. Er hat alles aufgeschnappt und einfach so gelernt. Beim Gespräch über unsere Wanderung lächelt er, er mache den Pass an einem Tag. Das muss man hier können. Es gibt schließlich keine Unterkunft vorher. Wenn er um fünf Uhr morgens hier aufbricht ist er um 14 Uhr auf der anderen Seite. Uns erscheint das unwahrscheinlich. Bestätigt sich aber ein paar Tage später. Aber dazu später mehr. Nachmittags probieren wir noch den Kerosinkocher aus. Sanya hilft uns uns kam nicht glauben,  dass wir so ein Ding noch nie bedient haben. Wir sind dankbar für die Hilfe und glauben es verstanden zu haben. Haha.

Früh am nächsten Morgen verabschieden wir uns, es geht weiter. Mit einem kleinen Picknickpaket mit Chapatis und Spinat Sabji verabschieden wir uns. Wir laufen erst durch die das Dorf einrahmenden Apfelbäume und Hagebuttensträucher, dann über Almen und durch kühle Nadelwälder.


Wir treffen auf Hirten mit Ziegen- und Schafherden und laufen entlang des Rupins durch ein surreal schönes Tal dem Wasserfall entgegen. Über uns kreisen Bartgeier und der Rhododendron blüht in hellem Rosé.




Kurz vor unserem Tagesziel überqueren wir den Fluss auf einer Schneebrücke. Wir zelten in einem grünen Hochtal mit Wiesen und Butterblümchen. An den kargen steilen Hängen kauern Birken und Rhododendron, dazwischen rauschen an die hundert kleine Wasserfälle in die Tiefe. Im Norden befindet sich der dreistufige Wasserfall, neben dem wir morgen aufsteigen werden. Im Süden blicken wir auf die Etappe des heutigen Tages zurück. Im Westen versteckt sich hinter anderen Hügeln der Rupin Pass, den wir übermorgen überqueren wollen.


Es ist früher Nachmittag und Zeit für unsere Portion Maggi Noodles. Wie soll ich dieses Drama nur beschreiben? Wir haben unser Zelt neben einer Steinformation aufgebaut, in die der Kocher etwa passt und ihn von zwei Seiten vor Wind schützt. An die dritte Seite stellen wir unsere Rucksäcke. Nichtsdestotrotz, der Kocher entwickelt sich eher zum Springbrunnen, das Kerosin sprudelt auf die Wiese, alles brennt außer das Gas. Kurz funktionier es, dann ist die Flamme weg. Ich hab Tobias noch nie so fluchen gehört und ich kann es total nachvollziehen. So ein unpraktisches, großes, schweres Mittelalter-Gerät. Im Nachhinein können wir drüber lachen, aber in dem Moment hing einfach alles davon ab. Für eine Runde Nudeln reicht das heiße Wasser und abends kriegen wir das Ding lange genug zum Laufen, dass wir Reis und Frühstück kochen können. Wenn das Teil mal brennt dann wie ein Höllenfeuer, kein Vergleich zu meinem bescheidenen aber präzisen Gaskocher.

Nachmittags ziehen an unserem Zelt übrigens die Schafherden vorbei, die wir Vormittags an der Brücke getroffen haben. Nachts und am nächsten Morgen sehen wir sie nicht mehr,  erst zwei Tage später treffen wir sie im Tal auf der anderen Seite des Passes wieder. Was Sanya gesagt hat stimmt, die Einheimischen laufen die Strecke an einem Tag. Mit Herde!

Gegen vier am nächsten Morgen wache ich auf. Mir ist schlecht. Den ganzen Tag über werde ich etwa zwei Kekse essen. Warum? Keine Ahnung. Der Aufstieg entlang der Wasserfälle verlangt mir alles ab und im Schneckentempo, Schritt für Schritt, arbeite ich mich hinauf.



Irgendwie schaffen wir es zu unserem Zeltplatz Rataferi. Auf einer kleinen trockenen Erhebung in mitten des Schnees und Eises bauen wir unser Zelt auf.
Tobias kocht mit Hilfe aller Flüche dieser Welt Wasser für Maggi Noodles, während ich mich im Schlafsack verkrümel. Hagelschauer kommen und gehen. Beim Sonnenuntergang wird es nochmal klar.  Tobias scheint den Kocher langsam bezwungen zu haben und kocht mit dem allerletzten Rest Kerosin noch Wasser für Wärmflaschen, Abendessen und Frühstück.




Unser letzter Tag bricht wie gewohnt mit strahlendem Sonnenschein an. Im Schlafsack war es kuschelig warm und mir geht es viel besser, auch wenn ich immer noch nicht viel essen kann. Wir packen zusammen und folgen zwei Schäfern, die mit einem Schaf ebenfalls über der Rupin Pass wollen. Ein Nachzügler? Niemand weiß es. Erst wünsche ich mir auch ein Spazierschaf. Als ich aber sehe, wie das Tier immer wieder Ausflüge in die verschiedensten Himmelsrichtungen nimmt und der Schäfer hinterher muss, komme ich von dem Wunsch ab. Das Schaf klettert mit seinen kleinen Hufen im Schnee recht sicher den Pass hinauf. Als sich aber oberhalb ein Stein löst, erschrickt es sich, dreht sich unglücklich und kommt ins Rutschen. Es saust 50 Höhenmeter den Hang hinab. Alle Motivationsversuche laufen ins Leere. Hat es sich was gebrochen? Das Tier bleibt auf jeden Fall hier. Wenn es nicht so tragisch wäre; der Abgang vom Schaf, wie es mit verdutztem Gesicht, auf dem wolligen Hintern den Schneehang runter gerutscht ist, war mit das skurrilste und witzigste, was ich je am Berg erlebt habe und werde ich nie vergessen. Jetzt wissen wir warum es hier so viele Geier gibt.



Wir hacken uns schön konzentriert den Eishang hinauf und treffen auf dem Pass wieder auf die Schäfer (jetzt natürlich ohne Schaf) mit denen wir unsere Kekse und ihre Kokosnuss teilen. Wo in Deutschland ein Kreuz auf dem Gipfel steht, finden wir in Indien Gebetsfahnen und Räucherstäbchen. Tobias schafft es ein Räucherwerk zu entzünden und wir bitten für Glück auf unserem nächsten Touren.

 


Das Wetter ist gut, die Aussicht auch, unser erstes Gipfelpanorama von Himachal Pradesh präsentiert sich mit Sonne und Wolken und macht Lust auf mehr. Vor uns liegt ein Abstieg von 2000 Höhenmetern und etwa 10-20km, abhängig davon auf welche Information man vertraut. Es liegt noch genug Schnee also können wir die traditionelle Technik anwenden: wir rutschen den obersten Teil des Passes auf dem Hosenboden hinab.



Auf unserer letzten Etappe treffen wir auf Yak-, Kuh-, Büffel-, Pony-, Ziegen- und Schafherden. Anscheinend ist die Vormonsunzeit hier auch die Wurfzeit; ganz viele Tierbabys starren uns mit großen Augen an und hoppeln dann schnell zur jeweiligen Mama. Ich bin entzückt. Die sind alle so flauschig...


Fix und fertig und überglücklich kommen wir am frühen Nachmittag in Sangla an. Auf den letzten Metern hat Regen eingesetzt. Wir sind froh über die Abkühlung und freuen uns auf das erste Städtchen in Himachal Pradesh!  

Epilog:
Den Kerosinkocher haben wir dem Besitzer einer neu eröffneten Dhaba / Zeltplatz kurz vor Sangla im Tausch gegen zwei Tee feierlich übergeben. Den Ruß von den Töpfen haben wir abschrubben können. Wir sind zuversichtlich in Manali, Himachal Pradesh, Gaskartuschen zu finden. 





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