Shivas Lambu Linga 23.-29.5.

Johanna schreibt.

Eigentlich sind die Berge, die wir uns anschauen und die Wege, die wir laufen wollen nicht sehr weit von einander entfernt. Wir haben uns informiert. Die direkte Verbindung zwischen Shivling und Kedarnath kann in etwa 10 Tagen gemacht werden. Sie führen nur entweder direkt über sehr hohe Pässe, die erst im August begehbar sind oder verlangen ein Expeditionsteam, da auf dem Weg keine Verpflegung ist. Deshalb machen wir uns erneut auf eine zwei tägige Reise. Einen Zwischenstopp legen wir in Uttrakashi ein. Den Ort haben wir vollkommen falsch eingeschätzt. Die letzten Wochen waren wir in kleinen Dörfchen mit einer Hauptstraße und einer handvoll Hotels. Plötzlich stehen wir mitten in einer richtigen Stadt, mit Gassen und Kreuzungen, und so vielen Hotels, dass wir uns entscheiden müssen. Außerdem haben wir krassen Muskelkater von unserem hochgeschwindigen Abstieg von Kedarnath und kommen mit der Hitze(30C) auf 1100m nicht wirklich klar. Wir orientieren uns und verschieben den Organisations-kram (Permit, Wäsche waschen) auf den folgenden Tag.

Am nächsten Morgen folgt ein Drama der besonderen Sorte. Innerhalb weniger Stunden wird bestätigt, was wir schon vermuteten; ja, alle Nationalparks Indiens dürfen seit Anfang des Jahres 2017 Permits nur noch an Agenturen ausgeben, nein, die Agenturen in Uttrakashi geben keine Permits gegen Bearbeitungsgebühr raus, ja, wir haben alle Karten auf das indische Himalaja gesetzt, nein, ich weiß wirklich nicht was ich hier noch mache. In meiner Vorstellung laufen wir die nächsten 3 Monate in Himachal Pradesh, Zanskar und Ladakh von einem Forrest Departement zum anderen nur um jedesmal gesagt zu bekommen, dass wir ohne Guide nicht in die Berge dürfen. Daraufhin werden wir die Agenturen belagern und vielleicht das ein oder andere mal eine Permit erkaufen können oder eben weiter ziehen müssen. Ich bin sauer und frustriert. Haben wir das irgendwo überlesen? Nicht gut genug recherchiert? Im Internet-Cafe google ich nach allen möglichen Stichworten, durchforste Foren, Blogs, die offizielle Lonely Planet-Website und gegen besseres Wissen versuche ich es sogar beim online Auftritt des Forrest Departements. Nichts. Keine Meldung. Eine Information, die meines Erachtens nach wert gewesen wäre einen Pop-up auf der Front Page von lonelyplanet.com zu haben, findet keine einzige Erwähnung im Internet. Ist unsere Idee, dass indische Himalaja auf eigene Faust zu durchwandern so außergewöhnlich? Oder sind wir einfach die ersten die es am eigenen Leib erfahren müssen? Ich kann es nicht fassen.

Tobias kann mich überzeugen das Angebot einer Agentur anzunehmen. Wir buchen einen Guide für fünf Tage, bekommen die Permit, sind aber für die Verpflegung eigenverantwortlich. Ausschlaggebendes Argument: Wenn das jetzt tatsächlich für gesamt Indien gilt, sollten wir mal ausprobieren, was unsere Möglichkeiten sind. Überzeugend. Ich rücke von meinem Fluchtplan gen heimische Alpen ab.

Eine skurrile Erfahrungen folgt. Es beginnt mit der Essensplanung. Wenn Tobias und ich wandern wird auf den Punkt geplant. Es gibt keine Wahlmöglichkeiten. Dazu kommt, dass wir mit dem hiesigen Gewürzen nicht umgehen können, das Kochen ist ein reines Experiment. Wenn wir tagsüber wandern, gibt es nur Kekse, denn wir haben nicht die Möglichkeit/Zeit jmd vor zu schicken, der uns ein Mittagessen kocht. Und Brot, Käse gibt es hier nicht. Außerdem wird rationiert, es gibt eine gute Portion pro Person aber keinen Nachschlag. Natürlich haben wir Reserven dabei, aber die sind wie der Name schon sagt für den Notfall. Wir entscheiden uns also für:

Porridge zum Frühstück
Maggi Nudeln für den Pausetag
Reis mit Linsen als Abendessen 1
Reis in Pilzcremesuppe als Abendessen 2
Schoko, Hafer und Kokos Kekse
Eine Tafel Schokolade
Grüntee
Eine Knolle Ingwer
Luxus und Fettlieferant: 300g Erdnussbutter

Reserve: noch mehr Kekse und zwei Pakete Trek'n'eat (lecker Trockenfutter aus Deutschland)

Am jeweils ersten und letzten Abend können wir in einer Dhaba was essen.

Es geht los. Das Tal bis zum Gaumukh-Gletscher mit dem rauschenden klaren Ganges ist wunderschön.


Manish unser Guide läuft etwa 20m vor uns, dreht sich alle viertel Stunde um und gibt mir das Gefühl total langsam zu laufen. Wir haben die Lebensmittel auf Tobias und meinen Rucksack aufteilt. Ich trage also ein vertretbares Gewicht von ca 14kg. Trotzdem fängt es mich an zu nerven. Sein Umdrehen, die Tatsache, dass er seine Lebensmittel nicht selbst trägt. Warum ich ihm nicht einen Teil gebe? Nun, da die Agentur nur rudimentäres Equipment hat, nimmt sein Schlafsack den ganzen Rucksack ein und das dreier Zelt (für ihn allein)  von Quechua wiegt 4,7kg. Überhaupt seine Anwesenheit macht mich wahnsinnig. Was tun wir hier? Ich zahle seiner Agentur Geld, damit er ein paar Meter vor mir mit Stöpsel in den Ohren Musik hört, mir das Gefühl gibt ich sei langsam und ich mehr tragen muss als ohne ihn. Warum kann er nicht einfach im Dorf bleiben, ich trage weniger Lebensmittel und ich kann meine Pausen selbst einteilen? Der Junge, übrigens 18 Jahre jung und Neffe des Agentur Besitzers, könnte studieren! Etwas lernen! Da der Weg sogar für einen Blinden schwer zu verfehlen ist, hat seine Anwesenheit keinerlei Wert für mich. Sein englisch ist so unbrauchbar, dass der Versuch meinerseits eine Unterhaltung zu starten ins Leere läuft. Ich verwünsche mich dafür, dass ich es nicht vorgeschlagen habe; wir zahlen den Preis, als ob der Guide dabei wäre, aber er bleibt im Tal. Die Agentur hat das Geld und ich meine Ruhe.
Es kommt mir sinnlos vor und das ist mein absoluter Motivationskiller. Ich stapfe im Schneckentempo über das Geröllfeld des Gletschers.



Und wer schon mal mit schlechter Laune über Geröll gewandert ist, der kann mir zustimmen; man kann sich herrlich reinsteigern. Man kommt einfach in keinen Rhythmus, der eine Stein wackelt, der nächste ist rutschig, da ist eine Gletscherspalte und jeder Schritt muss neu gesetzt werden. Glücklicherweise wird der Weg steiler und wir ackern uns einen sandigen Hang hinauf. Von unten hätte ich den Aufstieg verfluchen können, einmal dabei, fordert er so viel von einem, dass die Laune nebensächlich wird. Viel schneller als gedacht kommen wir auf dem Hochplateau an. Shivling und Meru haben sich schick gemacht und werden von der Mittagssonne angestrahlt. Der Guide ist mir jetzt egal. Es ist so schön hier oben. Sonne, Wolken, Wind und Berge!




Wir suchen uns ein windgeschütztes Plätzchen für unser Zelt, kochen Tee, essen Kekse und genießen die Ruhe. Die Ebene von Tapovan, auf der wir uns befinden, liegt westlich des Gaumukh-Gletschers, unterhalb der Nord-Ost-Wand des Shivlings und wird von einem schmalen aber schnellen Bach durchflossen. Das sandfarbene Massiv des Meru schaut westlich am Shivling vorbei. Von einem kleinen Hügel über unserem Lager können wir in die Hochtäler Richtung Badrinath im Osten und Kedarnath im Süden blicken. Im Norden befindet sich die Quelle des Ganges, dass Kuhmaul (Gaumukh). Es ist tatsächlich noch schöner als ich es mir vorgestellt habe.




Der Nachmittag ist bewölkt, der Abend wird windig und regnerisch. Tobias und ich machen uns einen Spaß daraus, Manish unseren 12 jährigen Neffen zu nennen, denn so ungefähr stellen wir es uns vor: Das Kind spricht nicht mit uns, erwartet Essen, aber wir wissen nicht was es mag, ist notorisch gelangweilt und spielt non stop mit seinem Handy herum. Ja, das Essen war nicht der Hit, aber viel besser als an dem Tag als wir am Kuari Pass vergeblich versucht haben gelbe Linsen weich zu kochen, und nur mit Salz würzen konnten. Unser kleiner Neffe hat brav behauptet, dass es ihm schmeckt und sogar aufgegessen. Fein.

Die Nacht wird eisig. Wir spüren die Folgen unserer Tourplanung. Wir sind gestern an einem Tag von 1100m auf 3000m mit dem Jeep gefahren und am gleichen Tag noch auf 3700m gewandert. Heute schlafen wir auf 4300m und spüren, dass wir unsere sonst brav eingehaltenen Akklimationstage haben ausfallen lassen. Das Atmen fällt schwer, wir wachen nachts häufig auf.

Der Morgen ist klar. Wir beobachten, wie die Strahlen der Sonne die Bergwelt erwachen lässt und lassen uns wärmen.


Vormittags Klettern wir zum Meru Gletscher


 und betrachten den Shivling mal von Seiten der Aufstiegsroute im Westen.


Danach wandern wir auf unserem Hochplateau Richtung Süden und haben die bekannte zackig-verdrehte Ansicht des Shivlings von Osten.


Den ganzen Tag ist beständiges sonniges Wetter. Wir finden Zeit zum schreiben, schlafen und zeichnen.



Als wir gerade beschließen, dass es ja doch irgendwie in Ordnung geht, einen Guide mit sich zu nehmen, passiert das unfassbar dämlichste, was hätte passieren können: uns geht das Gas für den Kocher aus. Wir haben den jungen Mann nur ins Essen eingeplant, dass durch ihn fast 50% mehr Energie gebraucht wird, haben wir nicht bedacht. Während wir das Abendessen zu bereiten geht also das Gas aus. Zuerst ist es uns peinlich, vor der Agency auf "ey, wird können das alles alleine" - machen und dann so ein Fauxpas. Dann schnippisch; für uns zwei hätte das Gas ja gereicht! Wir wollten ja auch keinen Guide... Es war leider auch eine kleinere Kartusche als die letzten Male, bei der wir zum Schluss immer zu viel hatten. Dann Pragmatismus: wir sind hier oben ja nicht alleine, wir fragen die Köche der anderen Gruppen, ob wir unseren kleinen Topf kurz bei Ihnen aufkochen können. Gesagt, getan. Es ist auf jeden Fall eine lehrreiche Situation für uns.

Beim Abstieg am vierten und fünften Tag, ziehen wir Resümee: schön, dass wir es uns so ermöglichen konnten diese Tour zu machen. Komisch war es trotzdem und eine Wiederholung versuchen wir zu vermeiden. Aber klar, es hängt ja auch immer vom Guide ab, vielleicht könnte man das das nächste mal mehr beeinflussen. Mit Navin hatten wir Glück, jetzt hat die Chemie nicht so gestimmt.

Wenn wir auch in den folgenden Ländern keine unabhängigen Wanderungen machen dürfen, wollen wir verschiedene Kurse ausprobieren, vielleicht Klettern und Erfahrung am Seil sammeln. Nach einigen Überlegungen entscheiden wir uns, Uttarakhand noch eine Chance zu geben: Wir orientieren uns Richtung Nord-Westen, nach Sankri. Neben dem berühmten Har Ki Doon-Valley, das recht überlaufen sein soll, scheint es einen Pass zu geben, der uns nach Himachal Pradesh führt. Weder der Lonely Planet noch unser Rother Wanderführer berichten davon. Wir hoffen auf ein Tal abseits des Pilgerwahnsinns mit Ruhe und entspannterem Forrest Departement.

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