Vom Kullu Tal ins Parvati Tal 29.06-07.07.

Johanna schreibt.

Für die kommende Woche ist Regen angesagt. Weil meine Hardshell an den Schultern langsam durchlässig wird, besorgen wir uns Schirme. Die Idee haben wir uns von Sherpas in Sikkim abgeschaut. Sieht zwar ein bisschen nach Sonntagnachmittagsspaziergang aus, aber da wir auch nur zwei kleine Passüberschreitungen vorhaben, genau unsere Kragenweite. Wir wollen von Naggar über Rumsu auf den Chandrakhani Pass, dann in das Dorf Malana absteigen, und auf der anderen Talseite hinauf zum Rasol Pass um dann wieder hinab nach Rasol und später Kasol zu wandern.

Auf unserer kurzen ersten Etappe stolpern wir unverhofft in Kultur. Der russische Künstler Nikolas Roerich lebte lange Zeit hier im Kullu Tal. Es war seine zweite Heimat. Er malte viele Berge des Himalajas und setzte sich intensiv mit Hinduismus und indischer Kultur auseinander. Seine ganze Familie lebte und arbeitete hier. Wir nehmen uns die Zeit und besichtigen das Haus, die Galerie, den Garten. Wir haben von dem Künstler noch nie gehört sind aber begeistert und kaufen ein paar kleine Drucke.



Im strömenden Regen geht es nach Rumsu, wo wir bei der Familie eines Zimmermanns unternommen. Alle Männer, Brüder, Vater, Onkel schnitzen die feinen Kunstwerke an den Tempeln, die wir in Himachal schon seit dem Rupin Pass bestaunen. Wir freuen uns, dass in dieser Region die Handwerker so hohes Ansehen genießen. Tobias ist von den Baustellen in Delhi anderes gewohnt. Dort sind die Jungs nicht ausgebildet, nur Tagelöhner, die stumpf ihre Arbeit erledigen. Hier im Norden treffen wir auf ein Kunsthandwerk, dass von Generation zu Generation weitergegeben wird.



Auch am folgenden Tag erweisen sich die Schirme als grandioser Investition. Da es trotz des Regens recht warm ist, laufen wir im T-shirt. Das ist sehr viel angenehmer, als mit der Regenjacke auf der schwitzen Haut. Der Weg geht ordentlich stramm hinauf, und ist eindeutig, wir haben Spaß und Power uns nach einer Woche faulenzen wieder richtig aus. Je höher wir kommen,  desto häufiger stehen wir mitten in den Wolken. Immer wieder treffen wir Hirten. Wir haben zwar keine Weitsicht, aber ab und an Blick ins Kullu Tal und können in der Ferne Manali erahnen. Unser Nachtlager schlagen wir direkt am Pass an einer geschützten Stelle auf und machen noch eine Runde Yoga.




Die Nacht ist regnerisch und stürmisch. Der Platz war vielleicht doch etwas exponiert, belohnt uns aber mit einer grandiosen Aussicht. Vor allem können wir über das Kullu Tal in Richtung Beas Kund und somit zur Dhauladhar Range blicken. Wer strahlt uns da an? Zum ersten Mal sehen wir den Hanuman Tibba aus der Entfernung. Wir sind richtig überrascht.  Ist aber auch eine komische Situation. In den Alpen sieht man die Gipfel meist erst aus der Distanz, dann steht man oben. Hier haben wir es umgekehrt gemacht. Tatsächlich müssen wir erstmal diskutierten, ob er es wirklich ist, denn schon wieder betrachten wir ihn aus einer neuen Perspektive, von Süd-Osten.

Der Linke ist der Hanuman Tibba!




Man soll immer vorsichtig sein, was man sich so wünscht, es könnte ja in Erfüllung gehen. Wenn wir nach ein paar Tage im Grünen gefragt haben, so werden wir erhört. Der Abstieg vom Chandrakhani Pass nach Malana ist quasi ein kontrollierter Absturz durch die grüne Hölle ins Fegefeuer. 1000 Höhenmeter auf zerfurchtem, glitschigem Trampelpfad durch hüfthohe Nesseln, Disteln und allerlei unbekanntes, schnellwachsendes, hydrophiles Gesträuch. Die schmale Schlucht mit voller Südausrichtung ist ein einziges Treibhaus. Es ist heiß und feucht. Tobias funktioniert den Regen- zum Sonnenschirm um. Wir rutschen und fluchen und schwitzen aus allen Poren. Ich möchte nochmal betonen: Beim Abstieg!


Wie sehr wir uns jetzt auf das Dorf freuen wollen würden! Aber es gibt da ein oder sogar mehrere Probleme. Die Dorfgemeinschaft hält alles, was fremd ist, für unrein. Und alles was von Unreinen berührt wurde, wird unrein. Ergo, wir sind unrein, wir dürfen nichts berühren, weder Bewohner noch Häuser, und wenn wir dem täten müssten wir skurril hohe Strafen zahlen. Früher hätten wir ohne Einladung das Dorf noch nicht einmal betreten dürfen.

In der Praxis bedeutet es, dass wir ziemlich verunsichert und fix und fertig vom Abstieg im Dorf ankommen. Wir finden ein Lokal und trauen uns nicht uns hinzusetzen bevor wir dazu aufgefordert werden. Die Dorfbewohner haben unfreundliche Gesichter, sie tun das natürlichste der Welt nicht: lächeln. Was für ein schrecklicher Ort. Hinzu kommt, dass Malana für die jungen Inder wohl das Charaz-Eldorado ist. Alle hängen vor den Guesthouses am Rand des Dorfes ab. Und selbst die urigsten alten Opis wollen uns ihr Haschisch andrehen. Um den ganzen Eins drauf zu setzen; die Hälfte des Dorfes ist 2008 abgebrannt und die schönen Holzhäuser wurden durch Betonbunker ersetzt. Dazwischen gammelt der Müll.

Wir suchen schnell das Weite, steigen hinab zum Fluss und auf der anderen Seite wieder hinauf.  Es ist immer noch so heiß. Immer wieder schieben sich kurz Gewitterwolken vor die Sonne, dann strahlt sie weiter. Der Weg ist wunderschön und führt entlang kleiner Höfe in einen dichten Wald. Dort beschließen wir zu zelten. Denn wir können die Entfernung zum Pass anhand der Höhenmeter grob einschätzen.

Am nächsten Morgen verlaufen wir uns erstmal ordentlich und verlieren etwa drei Stunden auf der Suche nach dem richtigen Weg.


Wo müssen wir lang?

Und finden dann doch endlich den Pfad zum Pass! Hinab schützt uns zu Beginn der Nebel vor der Sonne.





Dann brennt sich wieder die Sonne durch. Wir kommen wieder vollkommen durchgeschwitzt und fix und foxy in Rasol an. Auf dem Weg habe ich beim Universum eine ordentliche Bestellung aufgegeben: freundliche Menschen, gekühlte Sprite, Schattenplätzchen und was zu Essen. Während wir noch mal falsch abbiegen und in die Brennnessel fliegen, fang ich schon an zu handeln und Prioritäten zu überlegen: Kochen könnten wir selber, essen haben wir noch, ein freundliches Gesicht wäre der Hit! Aber ohne Schatten kann ich auch eine eiskalte Sprite nicht genießen... Sprite muss nicht sein. Lieber Schatten und was zu Essen, einfach Pause machen. Das Universum vernimmt mein Bitten und bietet mir alles auf dem Silbertablett. Kalte Sprite und Coke, warmes leckeres Essen, kühler Balkon mit Blick auf das Dorf, gut gelauntes junges Personal. Wir sind so glücklich, wir bleiben. Bis nach Kasol wäre es nicht mehr weit, aber Stress haben wir keinen. Also bleiben wir lieber direkt dort, wo es uns gefällt.


Keine schlechte Idee, denn Kasol, was wir am nächsten Tag erreichen, entpuppt sich nicht als unser Fall. Wir feiern Tobias Geburtstag mit ein paar Bier (dem ersten seit Monaten) am Fluss und essen mal wieder eine Menge.

Zwei Tage später zieht es uns tiefer ins Parvati Tal: unser Ziel lautet Khir Ganga. Heiße, heilige Quellen, eine Tageswanderung entfernt. Der Weg ist wirklich sehr schön. Führt uns durch schattige Nadelwälder über Almen, immer höher ins Parvati Tal. Wie wir bereits erklärt haben sind die größeren indischen Flüsse weibliche Gottheiten. Parvati ist die Muttergöttin und eine der vielen Ehefrauen von Shiva, ihr Sohn ist Ganesha, der mit dem Elefantengesicht. Sie stehen für die indische Idealfamilie. Ihr Vater ist Himvat, der Gott des Himalajas und ihre Schwester ist Ganga, deren Quellgletscher wir bereits in Uttarakhand besucht haben. Wie gesagt, es ist eine schöne Wanderung mit angenehmer Steigung. Es sieht aus, wie bei uns in den bayerischen Voralpen.





Mit uns auf dem Weg sind viele junge Inder, sie haben das gleiche Ziel wie wir. Auf der ganzen Strecke gibt es alle 1000m kleine Teestände mit Snacks. In Khir Ganga empfängt uns ein ganzes Dorf aus Quechua Zelten. Wie wir aber schnell bemerken sind diese nicht alle bewohnt, sondern für potentielle Gäste aufgebaut. Anhand der tatsächlichen Besucheranzahl bemerken wir,  dass wir langsam in der Off-season unterwegs sind. Bald kommt der Monsun und die Ferien der indischen Schulen und Universitäten sind vorbei. Es ist sehr entspannt und ruhig hier oben.


Wir bleiben zwei Nächte, schreiben, lesen, dösen und baden in den wirklich sehr, sehr heißen Quellen. So heiß, dass man sich wünscht es wäre Winter und um uns herum würde Schnee liegen.



Auf den letzten zwei Metern des Abstiegs träume ich von einem zweiten Frühstück mit Aloo Parathas und Chai und stolpere. Ich verdrehe mir unglücklich den Fuß und sehe mich schon in der Notaufnahme eines indischen Krankenhauses und die Reise abbrechen. Ich habe höllische Schmerzen im Mittelfuß und ärgere mich wegen der Unachtsamkeit. Da ich meine Zehen noch bewegen kann, versichert mir Tobias, dass weder Sehnen noch Knochen verletzt zu sein scheinen. In Manali bestätigt eine Ärztin die Diagnose. Zur Sicherheit wird trotzdem geröntgt: alles ganz. Kein Bruch. In ein paar Tagen kann ich vermutlich wieder normal gehen.

So ein Schock. So ein Glück.

Jetzt humpel ich durch Manali und wir überlegen wie es weiter geht. Grundsätzlich wollen wir ins Spiti Tal und von dort nach Ladakh wandern. Die Zeit im Grünen ist vorbei!













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