Besser spät als nie in Spiti 11.-17.7.



Tobias berichtet von neuen Tälern. Und Johanna ergänzt.

Es ist genau vier Wochen her, dass wir zum ersten Mal nach Manali gekommen sind, nun geht es für uns weiter. Das bange Warten und Hoffen ergab nicht die erwünschte Meinungsänderung bei Jogi, alle Überzeugungsversuche Sarahs blieben ergebnislos: CB 13 wird von uns nicht bestiegen. Wir grillen ein letztes Mal zusammen, es ist erstaunlich aus welch begrenzter Auswahl an Zutaten wir eine Vielfalt an Saucen und Dips erstellen. Die Zeit in Manali war schön, ich bin froh, einen feinen letzten Abend hier zu haben.

Plötzlich erscheinen zwei Monate gar nicht mehr so lange. Die Leichtigkeit hat sich verändert. Ungewohnt fange ich an, einzelne Tage mit Erlebnissen füllen zu wollen, zu planen und ungeduldig auf das Weiterkommen (wohin auch immer) zu warten. Über die Hälfte unserer Reise ist vorbei, die Rückkehr scheint so nah, man realisiert nur schwer, dass noch ganze 8 Wochen vor einem liegen. Versuche ich mich an die letzten 8 Wochen zu erinnern, fällt mir auf, dass in der Zeit viel passiert ist. Nur fehlt mir jetzt die Ruhe und Zuversicht, dass die kommende Zeit auch so erlebnisreich wird.
Die Aussicht auf neue, unbekannte Gegenden tut gut. Ich finde mich langsam damit ab, dass es hier viel zu viele interessante Berge gibt. Für den Großteil ist eine Besteigung aus logistischen Gründen zu aufwändig. Zudem gibt es viele andere Dinge, die entdeckt werden wollen.

Früh am nächsten Morgen versuchen wir zum zweiten Mal den Bus nach Kaza zu nehmen und vor allem anzukommen! Beim vortägigen Ticketkauf wird 4 Uhr als Abfahrt genannt, wir wundern uns, sind aber pünktlich. Wir warten geraume Zeit. Der morgendliche Ticketverkäufer erklärt mir, auf Nachfrage am Schalter, wo denn der Bus bleibe, der sei schon durch, ich solle morgen wieder kommen. Ich warte schon seit vier Uhr, erkläre ich. Ach, die eigentliche Abfahrt ist doch erst um 5.30 Uhr. Interessant. Der Bus kommt dann doch noch, um 6.30 Uhr. Besser spät als nie.

Glücklich im vollen Bus einen Sitzplatz zu haben, stellen wir schnell fest, dass wir die letzten zwei Tickets bekommen haben: wir sitzen in der letzten Reihe. Die Sitze befinden sich einen guten Meter hinter der Hinterachse und wird von uns aus Erfahrung auch liebevoll der Schleudersitz genannt. Es wackelt wirklich arg, die nächsten 12 Stunden ist das unser Training für den Rücken. Bei Bodenwellen hüpfen wir schon mal einen halben Meter in die Höhe.

Wegen der miserablen Straßenverhältnisse fährt der Bus entsprechend langsam und wir können die Veränderung der Natur um uns herum beobachten. Das Kullu Tal, das wir über den Rohtang Pass verlassen, ist grün, waldig, fruchtbar und neblig. Eine Bergkette hält den Dunst davon ab ins Lahaul Tal zu gelangen. Hier sind die Hänge steinig und von Blumenwiesen überzogen, dazwischen plätschern Schmelzwasserbäche. Am Rand der Straße stehen mal Hütten von Straßenbauarbeitern, mal ein paar Wildpferde mit Fohlen.

Nach drei Stunden hält der Bus das erste Mal, wir sind noch nicht weiter als beim ersten Versuch vor zwei Wochen. Fahrer und englischsprechender Schaffner schauen ins Tal. Wir ahnen schon: die  Straße ist blockiert, ein Erdrutsch.
Die Berge Indiens und ihre Straßen gleichen meinen Marmorkuchenbackversuchen: Alles bröselt und bröckelt vor sich hin. An den geologischen Gründen und Ursachen hätte ich größtes Interesse. Der Busfahrer ist hingegen mehr am Erdrutsch interessiert und wir fahren bis zur Blockade. Diesmal ist es kein Wasserfall. Die Straße ist einfach weggebrochen. Es bleibt ein schmaler, instabiler Weg, Jeeps kommen durch, nur der Bus ist zu breit. Wir steigen alle aus, die meisten schauen ratlos drein. In weiser Voraussicht haben wir diesmal reichlich Kekse und Snacks eingekauft, eine lange Wartezeit ängstigt uns nicht. Man lernt ja nie aus.


Einige ältere Herren beginnen mit geschulten Auge mit fußballgroßen Steinen die Seite der Straße (ich schreibe Straße, meine aber Schotterpiste) zu erweitern, die weggebrochen ist. Sie türmen Stein auf Stein, in die Lücken dazwischen werden kleine Steine eingedrückt und verkeilt. Der Busfahrer scheint zufrieden, steigt in den leeren Bus und manövriert ihn durch den Erdrutsch. Eine Reifenreihe fährt auf der gerade eben errichteten, irritierend knirschenden Trockenmauer. 50 cm daneben geht es 20 m abwärts und in den rauschenden Fluss. Der Schaffner dirigiert mit Trillerpfeife und nimmt noch letzte Korrekturen am Straßenbau vor. Danach rauchen beide erstmal eine Biri, diese starken indischen Zigarillos, während sie nachkommende Jeeps über das Geröll lotsen, den Nahost Konflikt lösen und Donald Trump vom Klimawandel überzeugen.

Die Fahrt kann also weitergehen. Die Straße bleibt schlecht, wir schaukeln hin und her und fliegen immer wieder in die Höhe. Das stört nicht all zu sehr, die Veränderung der Landschaft ist spektakulär. Das Lahaul Tal verlassen wir über den Kunzum Pass. Aus dem feuchten grün der letzten Wochen tauchen wir auf in eine trockene, staubige Gebirgswüste. Endlose Weite, eisige Berggipfel, klare Luft. Braun, gelb, ocker, beige, grau. Bizarre Formen, Linien, Strukturen. Säulenartige Steintürme ragen aus den Sandhängen am Talrand, die Folgen der allgegenwärtigen Erosion sind überall ersichtlich. Wir vergessen die lange Fahrt und staunen. Wir sind zwar laut Karte und rein administrativ noch in Himachal Pradesh, was wir sehen und hören erzählt uns jedoch eine andere Geschichte: Ju-le! Willkommen in West-Tibet! Spiti und Ladakh sind die einzigen Orte an denen der tibetische Buddhismus in seiner ursprünglichen Form noch praktiziert wird. Wir sind gespannt.







In Kaza angekommen finden wir eine kleine Stadt vor, eine grüne, entspannte Oase. Wir bleiben einen Tag. Alles hier ist anders. Ist das noch Indien? Wieder einmal ist alles vollkommen neu für uns. Auch die Häuser: Ein Kubus mit Flachdach, an dessen Ränder Reisig über den Rand ragt und trocknet. Unter dem Reisig zieht sich ein dunkelroter Streifen um das Haus. Die Lehmwände sind weiß gekalkt, um Türen und Fenster sind schwarze Rahmen gemalt. Die Deckenhöhe ist meist eher gering, die Türstöcke schon mal sehr niedrig. In einem dieser Häuser finden wir ein kleines Guesthouse. Zwischen den klassischen Häusern mischen sich neue Betonbauten, es herrscht ein munteres Treiben, denn Kaza ist die einige Marktstadt im ganzen Spiti Tal.



Am nächsten Tag zieht es uns nach Dhankar, 30 km weit entfernt, liegt das Dorf abseits der Hauptverkehrsader zwischen Steintürmen am Hang. Ein Bus bringt uns bis zur Abzweigung, kurz danach halten wir einen Lkw an, der uns mit hoch nimmt.




Das Dorf besteht aus etwa 20 Häusern, einem neuen Kloster und folgenden Denkmälern: eine über 1000 Jahre alte Monastery mit außergewöhnlichen Wandmalereien, die auf bereits beschriebenen erodierenden Sandtürmen thront und daher zu den 100 gefährdetsten Denkmälern der Welt gehört und ein klitzekleines Fort, aus der gleichen Zeit, dass in Kriegszeiten die gesamte Bevölkerung des Spiti Tals beherbergen konnte. Darüber hinaus hat man von hier aus eine wunderschöne Aussicht über das Hochtal und den Zusammenfluss von Spiti und Pin. Wir kommen bei einer freundlichem Gastfamilie unter und haben eine sehr schöne Zeit hier. Zum Sonnenuntergang sitzen wir neben dem alten Kloster auf einem Sandturm über dem Tal. Das Licht ist unglaublich, die Flüsse unter uns spiegeln die Sonne, die Aussicht ist grandios.


Das ist einer dieser zahlreichen, wunderschönen Momente auf der Reise, die sich zufällig ergeben und deren Beschreibung dem Erlebnis nicht gerecht wird. Wir hoffen die Bilder sprechen für sich. Wir haben hier eine entspannte, harmonische Zeit. Jedesmal darüber zu schreiben ist langweilig und für euch vermutlich nicht so interessant zu lesen. Anders ist es mit Situationen, die im Moment des Erlebens sehr anstrengend, nervig und unangenehmen sind, im Nachhinein sich aber herrlich detailliert schildern lassen. Das sind die erzählenswerten Geschichten unserer Reise, bei denen wir viel Spaß beim Reflektieren, Schreiben und Ausschmücken haben.

Am nächsten Morgen ist uns das Glück schon wieder hold: Wir beginnen den Abstieg vom Dorf zur Hauptstraße mit wenig Hoffnung auf eine Mitfahrgelegenheit, werden aber schnell von einem Jeep eingesammelt, der sogar auf dem Weg nach Tabo ist. Das trifft sich gut. Dort wollen wir auch hin. Tabo ist nach Kaza das nächstgrößere Dorf im Tal. Die Monastery wurde auch etwa 900 BC erbaut und beeindruckt vor allem durch Größe der Lehmbauten und skurrile Skulpturen. Früh am nächsten Morgen gehen wir zum neuen Tempel und nehmen an einem buddhistischen Gebet teil. Wir sitzen in einem Eck und hören den  Mantren der Mönche zu. Die jüngsten von ihnen sitzen neben uns und sind eher damit beschäftigt aufzuwachen und sich gegenseitig zu triezen. Mit uns besuchen auch ein paar Kasachen das Morgengebet. Die Frauen sind voll versunken im Lotussitz und bewegen sich über die gesamte Stunde keinen Zentimeter. Ein amüsanter Kontrast. Es herrscht eine angenehme Stimmung aus religiöser Meditation und entspannter Alltagsroutine. Während den Gesängen wird Tee verteilt, plötzlich sind alle still und trinken gleichzeitig aus ihren Tassen. Man hört draußen die Vögel zwitschern. Dann wird weiter gesungen, irgendwann klatschen alle dreimal und dann gehts zügig zum Frühstück.

Am folgenden Tag fahren wir zurück nach Kaza. Tobias verausgabt sich auf einem kleinen Trek zum Nachbardorf, während Johanna ihren Fuß schont. Wir sind recht zuversichtlich, nach dem wir beim Warten auf den Bus in Tabo einen australischen Arzt getroffen und dessen Diagnose baldige Besserung in Aussicht stellte. Das Gespräch mit William war darüber hinaus auch sehr interessant und hat uns wieder Lust auf Pakistan gemacht. Das ist sowieso ein Phänomen. Beim Reisen trifft man häufig auf interessante Menschen, die einem von tollen Zielen auf der Welt erzählen. Wir führen jetzt eine Liste für zukünftige Reisen.

Es geht weiter nach Ki.


Hier besuchen wir ebenfalls ein buddhistisches Kloster, das sogar 300 Mönche beherbergt. Zur Morgen-Puja erscheinen wir pünktlich und freuen uns auf ein ähnlich meditatives Erlebnis wie in Tabo. Wir setzen uns auf ähnliche Matten in die hinterste Ecke im Saal und kommunizieren per Augenkontakt mit ein paar Mönchen, ob das so passt. Passt. 10 Minuten später: Wegen Platzmangel im Inneren des Tempels werden wir auf die Veranda platziert. Da fängt der Versuch des Verstehens an: wussten die vor 10 Minuten noch nicht, dass alle Mönche des Klosters alle Plätze brauchen? Jetzt sehen wir zwar nichts mehr aber ok. Mh. Könnte man die Matten, auf denen wir auf der Veranda sitzen nicht noch so in den Saal legen, dass wir was mitbekommen? Theoretisch schon. Ausprobieren oder vorschlagen werde ich das jetzt nicht. Das Gebet hat ja schon angefangen. Oder nicht? Andauernd kommen neue Mönche und alle bringen Becher und Teller mit. Dann kommen junge Mönche mit riesigen Karaffen Tee. Dann kommen weitere mit einem riesigen Korb voll mit Gebäck. Es wird also Mantra gemurmelt, Brot gemümmelt und Tee geschlürft. Apropos geschlürft: neben uns auf der Matte sitzen zwei Ost-Asiaten, die ihren Tee so genüsslich schlürfen, und ihre erkältete Nase hochziehen, dass mir regelmäßig die Haare im Nacken hoch stehen. Ahhhh Kulturen!
Ob es jetzt losgeht weiß ich immer noch nicht. In der Kirche steht ja jemand vorne und sagt allen, dass man jetzt beginne. Gibt's hier nicht.  In Tabo hat man wenigstens gemerkt, wann es im Prozess war. Das merke ich hier aber auch nicht. Immer wieder laufen die jungen Mönche und verteilen die frittierten, trockenen Teilchen (für die bayrischen Leser: Ausg'zogene von vorgestern Nacht) und Cha Kant'e (gesalzener Butter Tee). Mittlerweile hat sich draußen auf dem Hof des Tempels eine quirlige Menschenmenge versammelt; Aunties aus dem Dorf bringen Milch für den Tee und alle StraßenbauarbeiterInnen (!), die zurzeit den Weg zum Kloster erneuern, sind gekommen - um zu beten? Draußen ist ein Wuseln und Quasseln. Es gibt Frühstück für alle. Wir sitzen zwischen den langsam lauter werdenden Mantren der Mönche und den Essgeräuschen der Anderen. Die Geistlichen dieses Klosters müssen sich, trotz der Höhe ihres Lebensraums, den Vorwurf des Lebens in einem Elfenbeinturm nicht gefallen lassen.



Just als mir dieser Gedanke gefällt, kommt eine Gruppe älterer Ost-Asiatinnen in Begleitung eines Mönchs die Treppen zur Gebetshalle hinauf gestürmt. Damit meine ich nicht ihre Geschwindigkeit sondern eher die respektlose, unumsichtig Art und Weise, mit der sie die Situation an sich reißen. Ohne sich umzuschauen spazieren sie in das Gebet. Laufen mit dem Smartphone quer durch den Saal machen Fotos, unterhalten sich, Gruppenselfie, filmen die ins Gebet versunkenen Mönche und den älteren in der ersten Reihe wird Geld in die Hand gedrückt. Uns Wessi-Touris entgleitet das Gesicht, da steht das größte Schild "Pictures are not allowed in the prayer hall!", dass ich je in einem Kloster gesehen habe. Aber nicht nur wir sind perplex, die jüngeren Mönche starren sich gegenseitig an. Was soll das? Wer gibt denen das Recht uns zu fotografieren?
Uns wird es zu viel, wir verlassen das Kloster. Im Guesthouse packen wir unsere sieben Sachen und laufen zur Weggabelung nach Kibber.


Nach kurzer Wartezeit nimmt uns ein Treckerfahrer mit. Wir lassen uns ordentlich durchschütteln. Unser Wunsch-Guesthous ist ausgebucht, aber kein Problem: Kibber besteht aus etwa 25 Häusern in "klassischen Spiti-Stil" darunter fünf Guesthouses und weitere zehn bieten Homestays an. Wir finden ein schönes, günstiges Zimmerchen mit Blick auf das Dorf und den/die Kanamo.


Im Gespräch mit zwei Indern (Inder sind hier für uns indische Touristen aus dem Flachland) finden wir heraus, dass die großen Agenturen "India Hikes" und "Trek The Himalayas" vorhaben am 20.7. den Kanamo zu besteigen. Mist, das würde sich mit unserem Plan decken. Wanderzirkus auf dem Gipfel würden wir gern vermeiden.*

Weiter geht's mit unserer Kanamo-Besteigung im nächsten Blogeintrag.

* Cliffhanger, der

Kommentare

Beliebte Posts