Die Wilde 13 - 20.-26.08.


Tobias.

Unsere Tage in Leh kommen zu ihrem Ende, wir machen noch ein paar Tage Yoga und meditieren entspannt vor uns hin, denn wir haben Bescheid aus Manali bekommen:
Wir haben einen Guide für die CB 13-Besteigung.


Ajay ist dieser Guide, ein guter Freund von Jogi, mit dem wir auch schon Klettern waren.
Der CB-13 ist der höchste Berg der Chandra Bagha Gruppe. Einem Massiv zwischen Ladakh, Lahaul und Spiti. Während in den Alpen jedes Hügelchen einen eigenen Namen trägt, hat man hier im Himalaya im Angesicht der tausend Gipfel zusammengefasst und durchnummeriert. Ein bekannteres Beispiel für diese Kartierungsmethode: der K2.

Da wir noch einiges zu organisieren und einzukaufen haben, lautet der Plan: erstmal zurück nach Manali. Die Fahrt von Leh dorthin erfolgt in einem Minibus, sie dauert 18 h durch die Nacht. Wir haben damit so ziemlich jedes Fortbewegungsmittel Nordindiens benutzt. Vom Local Bus, über Traktor, hin zu LKW und Privattaxi. Nur die Eselskarre fehlt noch in unserer Sammlung.

In Manali begrüßt uns eine feuchte, dampfige Wärme und viele, schoene, große, grüne Bäume, was nach den staubigen und kargen Monaten in Spiti und Ladakh gut tut. Natürlich,  während wir im Norden waren, hat hier der Monsun abgeregnet. Es fühlt sich fast ein bisschen wie Heimkommen an, wir kennen die Wege, Orte, Dhabas und fuehlen uns willkommen und wohl. Erstaunlich, angesichts der Tatsache, dass wir uns 7000 km entfernt von Deutschland befinden. Doch wahrscheinlich trifft die vermeintliche "Heimat" so sehr auf Manali zu wie auf Rosenheim, wenn auch in anderer Dimension: Teile sprechen mich an, andere befremden mich bis heute.



Ajay ist hochmotiviert. Er selbst hat den Berg auch noch nicht bestiegen, wir suchen beide nach möglichst vielen Informationen zu Route und tauschen uns darüber aus. Er organisiert vor Ort gefriergetrocknetes indisches Essen. Alle sind froh, nicht wieder 7 Tage von Tuetensuppe und Nudeln zu leben. Trotzdem müssen Snacks gekauft werden. Auch wenn es schwer fällt, schon wieder Snickers zu holen - nach gefuehlten 316 Stueck in den letzten Monaten - es gibt noch immer keine andere Alternative: So viele, dringend benötigte Kalorien findet man sonst einfach nicht in einem Riegel. Ein letztes Mal also: Indisches Himalaya mit amerikanischen Schokoriegeln.

Tag 1
Die Anfahrt zum Startpunkt entspricht etwa der Hälfte des Weges nach Kaza. Der aufmerksame Leser so: "Oh Man, nicht schon wieder!"
Und wir: "Doch! Weil es so schön war, machen die Strecke gerne zum dritten Mal! Wir sind stolze  Topfavoriten auf den Titel der meisten Ueberquerungen des Rohtang Passes in einer Saison."
Sechs holprige Stunden dauert es bis nach Batal, einer Kurve, vor einer Brücke mit verlassenem Militärstützpunkt und zwei Dhabas, die dem durchgeschüttelten Reisenden zwischen Spiti und Manali Kali Cha, Dudh Wallah und Dal Chawal anbieten. Wir kommen gegen Mittag an und tun das, was man auch Hochtouren nachmittags meistens macht: eine ganze Menge nichts. Das Wetter ist scheußlich. Stürmisch, kalt, nieselig.


Tag 2
Es geht ganz entspannt los. Das Wetter hat sich komplett gedreht. Sonne,  kaum Wölkchen, leichter Wind. Geplant sind heute nur 400 Höhenmeter, es muss vor allem Strecke gemacht werden. Es geht entlang des Chandra Flusses im Tal Richtung Norden. Der Weg ist schmal aber deutlich zu erkennen. Wir queren drei Gebirgsbäche und laufen neben dem flacher werdenden Gebirgszugs zu unserer linken vorbei an Geröllhügeln und rauer Natur.





Nach einer grünen Wiesenfläche biegen wir nach links ab ins abzweigende Tal. Dort nochmal 300 hm Steigung bis zum Basecamp (4400 m) am Fuße der Gletschermoränen. Hier finden wir Zeltplätze, die sich um eine Schäferhütte sammeln, die als gemeinschaftlicher Küchenraum vor dem jetzt doch kräftigen, kühlen Wind schützt.



Tag 3
Über die Moränen folgen wir dem Gletscher. Das Tal weitet sich ein wenig, erste Gipfel werden ersichtlich. Ein steitiges Auf und Ab entlang an Steinmännchen bringt uns schliesslich zu einem weiteren, abzweigendem Tal.


Dort steigen wir steil 200 hm durch Geröll Richtung Osten hinauf zum Vorgeschobenem Basislager. Neben uns rauscht der Gletscherstrom.


Von hier eröffnet sich auch der Blick auf den CB13. Das Lager ist auf 5000 m, bietet einen schönen Rundumblick und hat wieder eine kleine Hirtenküche. In dieser finden wir sogar die Verpflegungsreste der letzten Expedition zum nahegelegenen CB13A. Insbesondere Ajay freut sich, da er mit den Gewürzen und Zutaten tatsächlich etwas anfangen kann. Unser Mittag- und Abendessen wird mit Zwiebeln, Knoblauch, Öl und Gewürzen abgerundet und zur Vorbereitung des Gipfelversuchs in zwei Tagen gibt es Haluwa. Eine süße Mehlspeise, die im Zuge hinduistischer Feierlichkeiten zubereitet wird.








Tag 4
Wir folgen Richtung Süden in den Hufeisenförmigen Bergkessel, über weite Geröllfelder, um dann später den Gletscher zu queren. Unser Weg führt uns somit direkt auf den CB 13 zu.

Blick zurück in Richtung ABC


Auf dem Gletscher erwartet uns ein Anblick auf den uns Jogi bereits vorbereitet hat: auf einer Fläche, die etwa der Größe einer Fußballfeldes entspricht liegen die Wrackteile eines Flugzeugabsturzes von 1968. Ziemlich spektakuläre Geschichte, die man hier nachlesen kann. Für uns hat es die Atmosphäre eines gruseligen Freilichtmuseums. Von dem Flugzeugkorpus ist nichts übrig geblieben, was größer als 2 Meter ist. Durch die Schneeschmelze thronen die Wrackteile auf eisigen Säulen, wie Ausstellungsstücke.



Wir stehen vor dem finalen Anstieg zum Summit Camp, welches auf dem Kamm liegt. Wir legen den Klettergurt, Seil und Steigeisen an, und arbeiten uns den Hang hoch.


Die Bedingung sind um einiges anspruchsvoller als erwartet. Die Winter-Schneeschicht ist über den Sommer hinweg abgeschmolzen, uns begrüßt loser Schutt auf blankem Eis. Wir hatten zwar die Idee mal Eisklettern zu gehen, aber dafür bräuchte man andere Vorbereitung und Ausrüstung: spezielle Steigeisen und zwei scharfe Eisäxte, um richtig klettern zu können. So kommen wir eher schlecht als recht voran, Ajay sichert die steilen Passagen mit Seil und Eisschrauben. Wir brauchen zwei Stunden für 200 Höhenmeter, die sich als anstrengender herausstellen als erahnt.

Oben belohnt uns der Blick ins nächste Kar und zum nächsten Bergkamm. Wir sind bereits auf 5600m, eigentlich dachten wir das Summit Camp sei auf 5300m, es wird eine kurze und schlaflose Nacht werden. Wir sind inzwischen einigermaßen akklimatisiert, Ajay klagt hingegen zum ersten Mal in seinem Leben über Kopfschmerzen.


Die Sonne geht farbenprächtig unter, es wird eisig kalt und wir kuscheln uns in unsere Schlafsäcke.

Tag 5
Es sind noch 650 hm bis zum Gipfel auf 6274m, die ganz und gar nicht ansprechend aussehen. Auch hier oben liegt keinerlei Firn, der das Aufsteigen auf dem steilen Bergrücken erleichtert hätte. Bis zum Gipfel nur blaues, hartes Eis und loses, bröseliges Gestein. Die Vorfreude aufs Klettern leidet gewaltig, Motivation kommt vom Willen den Gipfel zu erreichen.
Ursprünglich wollen wir früh nachts los, um genug Zeit zu haben, wir ändern den Plan ins Morgengrauen, um gute Sicht und Orientierung zu haben. Das Aufstehen ist zäh, es ist ziemlich kalt. Das Wetter scheint gut zu sein, trotz Wetterleuchten in der Nacht. Um 5.30 Uhr ziehen wir los, nach 5 Minuten stehen wir wieder.

Es ist zu steil und ausgesetzt um gleichzeitig am Seil zu klettern, dieses schnelle steigen, was uns am Hanuman Tibba soviel Spaß bereitet hat. Auf dem Grat besteht der Fels nur aus losem Gebrösel, unkletterbar,  wir steigen links davon im Eis. Ajay steigt vor, ich sichere ihn, er baut einen Anker, wir steigen nach. Es dauert. Wir sind langsam, es ist kalt, das Eis hart, die Zehen taub vom vielen Frontzackeneinsatz mit den Steigeisen.

Nach 2 h schaue ich auf den Höhenmesser: 200 hm gestiegen. Das Gefühl kommt auf, dass wir umdrehen sollten. Einem Zeitplan haben wir nicht mehr, der zweite Tag schwieriges Gelände macht sich bemerkbar, wir sind das nicht gewöhnt. Ajay sagt nicht viel, er scheint nicht all zu traurig über eine Umkehr.

Ich will zum Gipfel, den Berg schaffen, über den wir seit Wochen reden. Der höchste Berg meines Lebens, der erfolgreiche Anschluss dieser langen Reise, der nicht ganz günstig war. Doch der Weg hinauf sieht richtig spaßlos aus. Die Motivation zum Gipfel ist da, auf weitere 4 h Eis und loses Geröll habe ich kaum Lust. Zu langsam, zu zäh, zu spät.

Und so entscheiden wir, auf 5800 m Höhe, um 7.30 Uhr umzudrehen, den Gipfelversuch abzubrechen. Nur so schaffen wir es noch vor dem Steinschlag durch tageszeitliche Erwärmung durch die unteren Eiswände. Wir seilen uns ab, einer nach dem anderen. Schnell werden die Zelte abgebaut und nach weiteren drei Seillängen stehen wir wieder am Anfang dieser zwei Tage steilen Eises. Ich fühle mich erleichtert und der Weg zurück zum ABC kommt mir kurz vor.

Dort bedienen wir uns bei den Überbleibseln der Vorräte und Ajay beweist seine Kochkünste erneut. Müde und satt krabbeln wir in die Schlafsäcke und freuen uns, nach zwei schlaflosen Nächten endlich wieder etwas schlafen zu können.






Tag 6
Ich stehe auf und fange gemütlich an, ein letztes mal für das Frühstück Nüsse zu rösten und Feigen zu schneiden. Dabei sitze ich mit Blick zum CB 13, ich spüre den emotionalen Kater der gestrigen Umkehr. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, traurig und enttäuscht, Freude und Stolz, alles durcheinander.

Auch auf dem langen Rückweg nach Batal durch Geröll, Moränen und das Tal denke ich viel nach. Es ist nur ein Berg und trotzdem beschäftigt es mich sehr. Dazu passt auch das Wetter, es ist bewölkt, nieselig und der allgegenwärtige, kräftige, kalte Wind. Der letzte Tag in den Bergen des indischen Himalayas, die letzte Tour und dann so eine Geschichte. Es fühlt sich unvollendet an. Wir sind froh und freuen uns auf den indischen Strand in der nächsten Woche und Rosenheim danach. Doch hier und jetzt reflektieren wir die letzten Monate, die einen hier her gebracht haben. Es ist ein Abschiedsschmerz auf unbekannte Zeit, der sich mit den Ereignissen der letzten Tage vermischt.


Wir erreichen Batal am Nachmittag, der erste heiße Tee muntert wieder auf. Nicht einer fragt ob man auf dem Gipfel war, alle freuen sich über die gesunde Rückkehr. Noch ein letztes Mal schlafen wir in unseren Schlafsäcken in der Hütte aus Steinen und Plastikplanen. Am nächsten Morgen holt uns ein Jeep ab, wir fahren zurück, vorbei an den Bergen, einen letzten Blick erhaschend, von neuen Zielen träumend, nach Manali.

Als wir über den Rohtang Pass fahren ist die Straße gefüllt mit Schafherden, Ziegen und Schäfern. Sie ziehen in die gleiche Richtung wie wir, in Richtung Süden. Wir erinnern uns an unsere Erlebnisse im Mai, als wir gemeinsam mit den Herden gen Norden gewandert sind. Jetzt ist es Ende August, die Nächte werden kühler, in wenigen Wochen kommt der Schnee. Der Sommer im Himalaja und unsere Zeit hier neigen sich dem Ende zu.

Die Apfelbäume im Kullu Tal ächzen unter der Last ihrer Früchte und Sonnenblumen stehen Spalier als wir nach Manali kommen. Dort begrüßen uns Sarah und Jogi. Beim gemeinsamen Abendessen wird viel erzählt und diskutiert. Langsam gewinnen wir die nötige Distanz zu dem Erlebten. Wir schmieden Pläne für eine Rückkehr und freuen uns auf neue Projekt in den Alpen.

Nach ein paar Tagen Erholung in Manali brechen wir auf nach Delhi, dann geht es noch für eine Woche an den Stand. Von dort melden wir uns wieder, mit dem vermutlich letzten Artikel dieser Reise.

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